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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fanden die vielen ehrbaren Bürger von Ulorjansk, die zum Friedhof gekommen waren, um Babkin einen ihm gebührenden Abschied zu bereiten. Wer kannte Babkin nicht? Er gehörte zu Ulorjansk wie der Fluß.
    Überhaupt war an diesem Tag vieles anders als gewöhnlich. In der Kirche hielt Waninow keinen Bittgottesdienst für Babkins arme Seele, der Kirchenchor, ein besonderer Stolz der Ulorjansker, stand nicht zu Chorälen bereit, auch Sobakin, der sonst immer am Grab die Blümchen zum Hineinwerfen verteilt, war nirgendwo zu sehen. Keine Delegationen waren aufmarschiert, die Fahne der Partei fehlte – wirklich alles sehr rätselhaft!
    Man munkelte zwar, mit Babkins Leiche gäbe es Schwierigkeiten, medizinisch gesehen, aber öffentlich war nicht bekannt geworden, daß das Begräbnis verschoben worden war. Fragte man die Mitglieder vom Kirchenchor und der Ehrenformationen, so zuckten auch die nur mit den Schultern.
    »Nichts genaues weiß man«, erklärten sie, nicht schlauer als andere. »Väterchen Waninow hat uns nur sagen lassen: ›Ihr erhaltet noch Nachricht.‹ Die Nachricht ist aber bis jetzt nicht gekommen. Warten wir also.«
    Muß man noch sagen, daß das Warten sich lohnte?
    Pünktlich um acht fuhr Babkin mit seinem Lieferwagen vor den Friedhof, bremste quietschend, wartete ein paar Sekunden, bis alle zu ihm hinsahen, und stieg dann aus.
    Der Erfolg war sehenswert.
    Vierzehn Frauen fielen in Ohnmacht und legten sich neben das Grab, ungefähr dreiundzwanzig Frauen knieten nieder und beteten, neun Männer, sonst starke Burschen vom Holzkombinat ›Lenin‹, denen kein Baum in der Taiga widerstand, schwankten bedenklich, und die Mehrzahl aller trauernden Gäste stimmte in ein lautes, dumpfes Seufzen ein.
    »Was ist, meine lieben Freunde?« fragte Babkin und kam näher. Einige Frauen liefen schreiend weg, zwei Holzarbeiter griffen nach den Schaufeln neben dem Grab und schwangen sie durch die Luft wie Dreschflegel, nur Schota Leonidowitsch Baiburt, ein etwas einfältiger Grusinier, schrie mit heller Stimme: »Halleluja! Hosiannah! Der Jüngste Tag bricht an!«
    Dann strömte die Menschenmenge wie eine Woge zu Babkin hin. Man drückte und umarmte ihn, küßte sein Gesicht, bis es anschwoll vor soviel Liebe, hob ihn auf die Schultern von Smolnow, einem riesigen Vorarbeiter der Baubrigade, und trug ihn herum, kreuz und quer über den Friedhof, um sein Grab herum und dann hinein in die Kirche.
    Dort stand allein mit umwölkter Stirn, übernächtigt und bleich, Waninow neben dem von Babkin gestifteten großen Bronzekreuz und verhinderte nicht, daß die ergriffene Menge Babkin vor den Altar trug und dort niedersetzte. Ein wieder auferstandener Toter gehört dorthin.
    »Ostern!« schrie Baiburt, der Beschränkte, ergriff Waninows silberne Handglöckchen und ließ sie klingeln. »Ostern! Auferstehung! Ulorjansk wird ewig leben …«
    Und dann sangen sie alle, die gekommen waren, Babkin zu begraben, einen Choral, wie ihn diese Kirche noch nie gehört hatte. Ein gläubiges Jubilieren war's.
    »Nimm, o Herr, jetzt uns're Seelen,
    wasche sie von Sünden rein,
    öffne deines Paradieses Pforten,
    daß befreit wir ziehn hinein …«
    »Da siehst du, was du angerichtet hast«, sagte Waninow und beugte sich tief zu Babkin hinab. »Elender, wie kannst du das wieder gutmachen?«
    »Sollte ich mich etwa begraben lassen?« flüsterte Babkin betroffen.
    »Besser für uns alle wäre es gewesen.«
    »Lebend?«
    »Wer hätte das schon gemerkt?«
    »Ich …«
    »Steif warst du wie ein Brett.«
    »Wende dich an Mischin. Hätte er mir nicht den Hammer auf den Kopf geworfen, läge ich jetzt noch stumm da.«
    »Eine Ausrede, ja, eine verdammte Ausrede ist das, Babkin! Welches Spiel hast du mit uns getrieben? Niemand wird dir das verzeihen! Legt sich hin, spielt den Toten, hört sich alles an und steht zu gegebener Zeit wieder auf. Infam, Wadim Igorowitsch! Teuflisch! Welches Unglück bringst du über uns alle …«
    Noch während die Ergriffenen sangen, verließ Babkin die Kirche, setzte sich in seinen Lieferwagen und fuhr zu seinem Haus.
    Dort lief Pyljow, sein Schwiegersöhnchen, wie in einem Käfig hin und her, beschimpfte Nina und Nelli mit groben Worten und nannte sie schlaffe Weiber, weil sie nicht fähig gewesen waren, Babkin festzuhalten.
    Außerdem, hatte Pyljow gebrüllt, sei das Chaos in Ulorjansk ausgebrochen: Narinskijs Gesicht war zerkratzt, als hätte er unter einem Tiger gelegen, Arune Jelisaweta lief herum mit einem blauen Auge

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