Babylon in Hongkong
faszinierte das Millionenspektakel Hongkong, das so wahnsinnig dicht besiedelt war und täglich neue Einwanderer, meist illegal, schlucken mußte.
Es gab Menschen, die besaßen als Wohnung nur eine Schlafpritsche in irgendeinem Betonbunker und zahlten viel Geld im Monat. Es wurde viel verdient und viel ausgegeben.
Ein Hupsignal schreckte uns auf. Hinter uns glitt ein cremefarbener Rolls die Fahrbahn entlang. Der Chauffeur wollte freie Bahn haben. Suko gewährte sie ihm, er fuhr dicht links heran.
Zwei Frauen hockten im Fond. Ältere Ladies, aufgetakelt und spindeldürr. Ein Stück Kolonialismus, für das England leider eine traurige Berühmtheit erlangt hatte.
»Da siehst du wieder die Gegensätze«, sagte Suko. »Reich, immens reich und so verflucht arm. Das ist…« Ich hörte überhaupt nicht hin, denn neben uns spritzte plötzlich der Asphalt auf, als hätte es eine kleine Explosion gegeben. Ich schaute nach rechts.
Und da war der Schatten. Einer der verdammten Drachenflieger, der sich mit einer Hand am Gestänge seines Apparates festhielt, in der anderen aber ein Gewehr hielt, mit dem er auf uns schoß.
Und oberhalb der querlaufenden Führungsstange leuchtete sein Gesicht wie eine weiße Maske…
***
Die Dschunke fuhr wieder!
Der Mandarin wollte nicht, daß sie immer am gleichen Fleck lag. Es wäre zu auffällig gewesen. Er hatte den Befehl an seinen Vertrauten Tao weitergeleitet, der dafür Sorge trug, daß man die Segel setzte. Die beiden starken Motoren wurden nicht angeworfen.
Es ging dem Mandarin nicht gut.
Das lag nicht allein an seinen Knochen und Sehnen, nein, er hatte auch das Gefühl, eingekreist zu werden. Zwar nur von zwei Leuten, aber er wußte sehr wohl, daß sie zu den Menschen gehörten, die nicht so leicht aufgaben. Was die sich einmal in den Kopf gesetzt hatten, führten sie auch durch.
Plötzlich haßte er die Dunkelheit. Er haßte eigentlich alles, was mit der Finsternis zusammenhing, und er sagte sich, daß es ihm guttun würde, wenn er etwas frische Luft bekam.
Er stand auf.
Nein, nicht wie ein normaler Mensch. Dieses Aufstehen glich zwangsläufig einem Ritual und war verbunden mit fürchterlichen Qualen, die der Mandarin nur selten auf sich nahm, weil sie auch einen starken Menschen irgendwann zerbrechen konnten.
Zuerst bewegte er seinen Kopf. Irgendwo im Hals knackte es, ein Brennen tobte durch die Sehnen, aber er konnte den Kopf schließlich gerade halten.
Danach wuchtete er sich vor. Er konnte seine beiden Körperhälften nicht gleichzeitig bewegen, sondern drückte erst die rechte nach vorn und ließ die linke dann folgen. Gleichzeitig gab er sich Schwung — und schaffte es, den Stuhl zu verlassen.
Er taumelte vor wie eine Puppe, die nur an Fäden hing, schaffte es aber, sich zu fangen, schlenkerte die Beine aus, drehte sich dabei und ächzte halbwegs zufrieden, als es ihm gelungen war, sich auf den Beinen zu halten.
Der Weg bis zur Tür war nur sehr kurz. Ein Kinderspiel für einen normalen Menschen, der richtig gehen konnte.
Für ihn aber nicht. Er kämpfte sich voran, die Füße schleifte er mit, die Beine schlenkerte er ebenso wie seine Arme und tastete mit den Händen nach einem Halt.
Seine langen Finger, die in einem unnatürlichen Winkel zueinander abstanden, griffen noch ins Leere, bis der Mandarin es schaffte, dem Körper den Schwung zu geben, den er benötigte, um sein Ziel — die Tür — zu erreichen. Er fiel hart gegen sie, spürte, daß er abrutschen würde, und bekam die Querstange zu fassen, die seinetwegen angebracht worden war und von zwei Holzklötzen gehalten wurde. Er klammerte sich fest. Seine Hände dehnten sich dabei, als bestünden sie aus Gummi, aber da war noch ein Rest an Kraft vorhanden, den der Mandarin mobilisieren konnte, so daß er nicht zu Boden stürzte und die schwere Prozedur des Aufstehens hinter sich bringen mußte. Der Mandarin hielt sich fest. Es war mehr ein verzweifeltes Klammern, ständig unterbrochen durch knackende und reißende Geräusche, als würde sein Körper allmählich auseinandergezerrt werden. Die Finsternis verstärkte die unheimlichen Laute noch, in die sich manchmal ein Heulton mischte.
Doch der Mandarin machte weiter. Er dachte nicht daran, aufzugeben. Noch lebte er, und er würde weiterleben, um die große Organisation noch stärker zu machen.
Irgendwann erholte er sich. Das war daran zu hören, daß die unheimlichen Geräusche nicht mehr so laut klangen. Jetzt hatten sich sämtliche Knochen und Sehnen
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