Babylon in Hongkong
meinem Innern wallte der Zorn hoch.
Als ich den Blick senkte und dem Verletzten in die Augen schaute, sah ich das Flackern darin. Er mußte Schmerzen haben, doch er verbiß sie sich. Kein Laut drang über seine Lippen, die er fest zusammengepreßt hielt. Nur in den Augen erkannte ich Leben.
Suko hatte den Stock aufgehoben. Dabei lachte er. »Eine verdammte Waffe, John, eine ganz verdammte Waffe. Aber so sind sie. Wir müssen uns hüten. Einmal killen sie mit Nadeln, dann mit kleinen Pfeilen, die sie aus umgebauten Revolvern abschießen, und selbst Stöcke werden von ihnen manipuliert.« Er rammte ihn in den Boden, um anschließend den Verletzten vorsichtig in die Höhe zu hieven, wobei ich meinen Partner so gut wie möglich unterstützte. Der Verwundete sprach nicht.
Er hielt sich zurück. Nicht einmal die Lippen zuckten, aber wenn man je von einem düsteren Feuer hätte sprechen können, so brannte es in seinen Augen wie eine Glut.
»Du wirst gehen müssen«, sagte Suko zu ihm.
Er bekam keine Antwort. Wir nahmen ihn zwischen uns. Ich hob seinen Arm behutsam an, um ihn über meine Schulter zu legen. Hoffentlich überstand er den Transport, den wir wegen der Dichte des Waldes nicht anders durchführen konnten.
Dann schrie er!
Es war ein wilder, wütender, beinahe schon ekstasischer Schrei. Dabei bewegte er sich trotz seiner Verletzung derart schnell und geschmeidig, daß er uns überraschte.
Plötzlich hielt er den verfluchten Stock in der Hand, stellte beide Beine zusammen und sprang aus dem Stand zurück, wobei er sich in der Luft beinahe noch überkugelte. Wir sahen die Bewegung seiner Arme und hatten beinahe den Eindruck, als hätte er einen dritten Arm herbeigezaubert. Es war nur der Stock, der, im richtigen Winkel gehalten, zwischen den beiden Armen nach unten sauste. Dann klatschte der Körper in einen Strauch. Wir hörten es krachen und knirschen, einen leisen Schrei ebenfalls, dann war alles vorbei. Ich schlug den Weg frei, Suko leuchtete, und diesmal war das weiß geschminkte Gesicht des Mannes verzerrt, als hätte jemand seine Haut von zwei Seiten auseinandergezogen. In der Brust steckte das Stockmesser.
»Schon wieder ein Toter«, flüsterte ich. »Meine Güte, wo soll das alles hinführen?«
»Das ist Hongkong«, erwiderte mein Freund leise. »Das ist dieses verdammte, gnadenlose Hongkong. Eine Stadt, in derein Menschenleben keine Rolle spielt. Laß uns gehen. Seine Kumpane werden sich um ihn kümmern. Man wird ihn wohl verbrennen.«
»Ist das so üblich bei den weißen Masken?«
»Sicher.«
Wir liefen den Weg zurück, erreichten die Straße, und ich sah unseren Kollegen Tarn liegen. Noch immer versperrte sein Körper unsere Weiterfahrt. Allein die Haltung des Toten ließ Schreckliches erahnen, und Suko erklärte es mir mit einem Vergleich.
»Es ist wie bei einem Menschen, der in die Berge steigt, nicht achtgibt und einige hundert Yards in die Tiefe fällt. Da bleibt kein Knochen mehr heil.«
»Hat man das mit ihm gemacht?« fragte ich gepreßt.
»So ähnlich.«
Er war nur mehr ein Bündel. Wir hoben ihn an und legten ihn auf den Rücksitz. Dann stiegen wir ein. Als Suko starten wollte, legte ich meine Hand auf den Lenkradring. »Noch nicht, bitte, mir ist gerade etwas eingefallen.«
»Dann sag es.«
»Wie war das mit dem Mandarin? Es soll in eine Schlucht gefallen und sich die Knochen gebrochen haben.«
»Richtig.«
»Und bei Feng fanden wir eine Karte, die auf den Knochensetzer hinweist. Tarn ist auf eine ähnliche Art und Weise umgebracht worden. Suko, das ist der rote Faden. Es muß etwas mit den Knochen, den Knochensetzern und natürlich mit diesem Cheng Wang zu tun haben, der wohl der King dieser Gilde ist.«
»Kann ich jetzt starten?«
»Klar. Was meinst du denn?«
»Ich bin deiner Ansicht, John. Wir sollten ihm so rasch wie möglich einen Besuch abstatten.«
»Falls wir ihn antreffen, und er nicht…«
»Mal den Teufel nicht an die Wand, Alter.«
Das wollte ich auch nicht, aber ich war in diesem Fall auf alles gefaßt. Verfolgt wurden wir offiziell nicht. Als wir die belebteren Gebiete erreichten, sahen wir hoch über uns zwei Drachenflieger, die günstige Winde ausnutzten und sich mit ihren gewaltigen Schwingen durchschaukeln ließen, wobei sie große Bögen flogen und sich hin und wieder der Straße näherten.
Es ging bergab.
Meine Güte, was war Hongkong für eine Stadt! Ich konnte die Augen nicht von der Insel lassen, denn Kowloon interessierte mich weniger. Mich
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