Babylon in Hongkong
den Wagen. »Das ist es dann wohl gewesen, Alter.«
Ich schaute mir die Kugellöcher im Wagen an. Vier zählte ich. Kein Geschoß hatte den Tank erwischt, so daß auch kein Benzin auslaufen konnte.
»Sie lassen aber auch nichts aus, verflucht!« Ich schlug auf das Wagendach. »Was haben wir ihnen getan?«
»Nichts.«
»Das glaubst du wohl selbst nicht.«
Suko verschluckte die Antwort, weil er zunächst den Bus vorbei lassen wollte. Er sah so aus wie unsere Londoner Fahrzeuge. Kindergesichter sahen wir hinter den Scheiben. Kleine Hände winkten uns zu, wir grüßten auch, und ich war nur froh, daß der Bus nicht drei Minuten zuvor diesen Platz erreicht hatte.
Suko hatte den Arm angehoben. Er bewegte seinen ausgestreckten Zeigefinger wie ein Pendel. »Ich weiß nicht, wieso wir ihnen auf die Zehen getreten sind, John. Daß sie uns unter allen Umständen ins Jenseits schicken wollen, kann allein daran liegen, daß sie etwas Bestimmtes nicht wollen, wenn du verstehst.«
»Drück dich mal deutlicher aus und nicht so geschwollen.«
»Sie wollen ihre Geheimnisse bewahrt haben. Wir sollen bestimmte Dinge nicht wissen.«
»Meinst du?«
»Ja.«
Ich nickte einige Male. So gesehen hatte Suko nicht unrecht. »Sie wollen dann auch nicht, daß du über das Schicksal deines Vaters aufgeklärt wirst.«
»Stimmt.«
»Das muß einen Grund haben. Hast du darüber schon nachgedacht? Wer war dein Vater? Was hat er getan?« Suko hob die Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen. Das ist ein Kapitel in meinem Leben, über das ich überhaupt keinen Bescheid weiß. Ich stecke in einer Klemme.«
»Holen wir uns die weißen Masken und den Mandarin.«
Mein Freund lachte. »Wenn das mal so einfach wäre. Jedenfalls werden wir Tarn bei der Polizei abliefern, dann ins Hotel gehen…«
»Was willst du da?«
»Mich mal duschen und meine Beziehungen spielen lassen. Wir wissen noch nicht, wo wir den Knochensetzer finden können. Der steht bestimmt nicht im Telefonbuch.«
»Das glaube ich auch.« Diesmal fuhr ich und ließ den Wagen auch auf die berühmte grünweiße Fähre rollen, die täglich Zehntausende von Pendlern zwischen Kowloon und der Insel Hongkong hin-und herbefördert. Es war schon ein imposantes Bild, wie wir uns an die Insel heranschoben, die Fronten der Wolkenkratzer sahen und die massigen Reklamen, die bereits jetzt leuchteten und jeden Ankömmling darauf hinwiesen, was er in einer Stadt wie Hongkong zu erwarten hatte. Wir würden von Hongkong selbst kaum etwas zu sehen bekommen. Eigentlich schade.
Wir standen an Deck, schauten gegen die näher kommende Insel, und ich riskierte einen Blick auf meinen Freund Suko.
Dessen Gesicht war unbeweglich. Ich wußte jedoch, daß sich hinter der glatten Stirn eine gedankliche Hölle abspielte. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich nicht in seiner Haut stecken…
***
Die Kollegen waren bleich geworden, als wir ihnen Tam brachten. Er hatte zu ihren besten Männern gehört, darüber waren sich alle einig, und sie fluchten wild, als sie ihn zur Obduktion brachten. Wir hatten es mit einem englischen Superintendenten zu tun, der von Sir James bereits informiert worden war. Zudem kannten sich die beiden aus Londoner Clubzeiten.
Der Mann hieß Neal Demison, besaß einen prächtig und schwungvoll gewachsenen Oberlippenbart und aschgraues Haar, das er gescheitelt trug und eben etwas typisch Britisches verkörperte. Über die Ränder der halben Lesebrille hinweg schaute er uns traurig an und schob die Unterlippe vor. »Es hat sich bereits bis zu uns herumgesprochen, wer Sie sind, Gentlemen, aber diesmal haben Sie sich einiges zuviel vorgenommen.« Er schüttelte den Kopf. »Schon jetzt kann ich nicht richtig begreifen, daß Sie noch am Leben sind.«
»Wir haben eben Glück gehabt.«
»Das Wort Glück hat hier in Hongkong eine besondere Bedeutung, über die ich nicht philosophieren will, aber können Sie sich vorstellen, daß es sich auch mal wandelt?«
»Natürlich«, erwiderte ich. »Dann hoffen wir allerdings, den Fall gelöst zu haben.«
Der Superintendent nickte. »Wie Sie wollen, meine Herren, aber ich möchte auf etwas anderes zu sprechen kommen. Tarn ist tot, er muß einen schrecklichen Tod gestorben sein. Sie können sich nicht vorstellen, wie er ums Leben kam oder wer ihn getötet hat?«
»Jetzt ja. Es müssen die Drachenflieger gewesen sein. Sie haben ihn erwischt und aus großer Höhe fallen lassen.«
Neäl Demison schüttelte sich. »Ein schrecklicher Tod«, flüsterte
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