Babylon: Thriller
trottete zum Wagen und stieg ein. Während sie wegfuhren, kam ein leichter Wind auf und wirbelte die Fastfood-Kartons und die Tüten und Servietten durcheinander.
So fängt es gewöhnlich an, dachte ich. Wenn ein Kind dem anderen vorgezogen wird, entwickelt das andere im Laufe der Zeit einen tiefen Hass auf die ganze Welt.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Schrifttafel zu und ließ mir noch einmal alle Fakten durch den Kopf gehen. Samuel hatte den Text als eines der prophetischen Bücher des Alten Testaments mit dem Titel die »Last von Ninive« erkannt. Nachdem jemand versucht hatte, es zu stehlen, hatte er es weggeschlossen und sich sogar geweigert, es von seinen Assistenten genauer untersuchen zu lassen. Er hielt den Text nicht nur für echt, sondern glaubte, dass er eine geheime Botschaft enthielt. Die sich auf was bezog? Offenbar auf den alchemistischen Prozess der Goldherstellung. War das nur das Produkt der Fantasie eines alten Mannes, oder steckte in allem doch ein Körnchen Wahrheit?
Ein weiterer Anruf unterbrach meinen Gedankenfluss.
»Ich bin ja so froh, dass ich dich endlich erreiche«, sagte Laurel, als ich mich meldete.
»Ist alles in Ordnung?« Ihre Stimme zitterte, als hätte sie gerade wieder geweint.
»Nein. Die Frau, die du mir beschrieben hast – Eris, nicht wahr?«
»Ja, so heißt sie.«
»Sie hat versucht, sich an mich heranzumachen. Ich brauchte etwas fürs Frühstück. Und als ich von Gristedes zurückkam, hatte ich das seltsame Gefühl, verfolgt zu werden. Gip fing sie gerade noch ab, als sie nach oben wollte und so tat, als sei sie eine Botin, die etwas abzuliefern hat. Sie verließ das Haus, als er sie zur Rede stellen wollte.«
»Wahrscheinlich hat sie das Stadthaus durchsucht und nichts gefunden. Deshalb will sie offensichtlich deine Wohnung durchstöbern.«
»Da kann ich ihr nur viel Glück wünschen. Während der letzten beiden Monate habe ich mir Minas Sachen vorgenommen und Hal dabei geholfen zu entscheiden, was davon verkauft werden soll. Ich denke, ich hätte es sofort bemerkt, wenn er hier irgendetwas versteckt hätte.«
»Er hätte es tun können, während du nicht zu Hause warst.«
»Das ist natürlich möglich.« Sie klang nicht überzeugt.
»Hör mal, wie wäre es, wenn ich zu dir rüberkomme? Du solltest nicht alleine sein.«
»Könntest du das? Dann würde ich mich um einiges besser fühlen.«
Während der Rückfahrt in die Stadt schaltete ich das Radio ein. »Money for Nothing« von den Dire Straits drang aus dem Lautsprecher. Ob die Musik mir half, meine Gedanken zu ordnen, weiß ich nicht, doch während ich mir den Kopf darüber zerbrach, welche geheime Bedeutung in Nahums Prophezeiung stecken könnte, kam mir wieder dieser Geistesblitz, und diesmal entzündete er ein Feuer.
Ich hatte Hals Rätsel gelöst.
Als ich vor ihrer Tür erschien, begrüßte Laurel mich mit einem Kuss auf die Wange. Ich kann nicht behaupten, dass mir die Rolle als Retter in der Not nicht gefiel.
»Was ist mit deiner Lippe passiert?« Sie berührte vorsichtig die Schwellung in meinem Gesicht.
»Das ist nicht so schlimm. Viel größere Sorgen mache ich mir wegen dir. Und ich habe eine gute Nachricht. Möglicherweise habe ich die Lösung für Hals Spiel.«
»Wirklich?«
Wir gingen ins Arbeitszimmer, wo ich für sie eine Skizze anfertigte.
»Vier Buchstaben fehlen: r , a , n , s . Hal hat mit voller Absicht nicht alle Buchstaben benutzt, die ihm zur Verfügung standen. Alle Worte in dem Gerüst sollten miteinander verbunden sein, doch zwischen der linken und der rechten Gruppe besteht keine Verbindung. Ich musste nach einem Verbindungswort suchen. Indem ich die fehlenden Buchstaben zwischen dem t und dem Wort Mutation einfügte, erhielt ich das richtige Wort: Transmutation , die Bezeichnung für die Umwandlung unedler Metalle in Gold.«
»Du liebe Güte«, sagte Laurel. »Es ist mir richtig peinlich, dass ich das nicht gesehen habe. Besonders inspiriert ist das aber nicht. Gewöhnlich war Hal ein wenig origineller.«
Ich hatte das Bild des zweiten Rätsels bereits in meinem BlackBerry gespeichert, so dass Laurel nicht sehen konnte, wie ich die Überleitung vollzogen hatte. Ich rief das Bild auf und zeigte es ihr. »Erkennst du es?«, fragte ich.
»Natürlich. Melencolia 1 von Albrecht Dürer. Es hängt in Hals Arbeitszimmer.«
Melencolia 1 von Albrecht Dürer, 1514
Nur zwei Quadrate mussten diesmal ausgefüllt werden. Ich versuchte es mit den nächstliegenden
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