Babylons letzter Wächter (German Edition)
schon mal vorbeigelaufen bin.“
„ Komisch, dass auf ihrem Kontoauszug genau dieser Automat auftaucht. Und zwar am Tatabend. Sie hoben zehntausend Dollar ab. Genug für einen Mord, nicht wahr?“
„ Ohne meinen Anwalt sage ich nichts mehr.“
„ Der kann ihnen jetzt auch nicht mehr helfen. Ich bitte die Geschworenen, sich zur Beratung zurückzuziehen.“
Silva wurde wegen Auftragmordes zum Tode verurteilt. Todesurteile waren bei Final Justice nichts Ungewöhnliches. Laut neusten Umfragen kamen harte Strafen beim Publikum besonders gut an. Natürlich hatte das Fernsehgericht mit der wirklichen Justiz wenig zu tun. Öffentlich verhandelt wurden nur die spektakulären Fälle. Keller ließ die Angeklagten kaum zu Wort kommen. Die Zuschauer liebten ihn für seine Redegewandtheit.
*
„Mister Keller, wir sollten über die neue Staffel reden.“
„ Ich hoffe doch, sie wollen die Sendung nicht absetzen?“
„ Absetzen nicht. Aber die Quoten sind in den Keller gerutscht. Die Zuschauer fangen an, sich zu langweilen. Es besteht Handlungsbedarf.“
„ Wir könnten spektakuläre Fälle auf-greifen.“
„ Ich dachte an ein völlig neues Sendeformat. So neu, dass wir ihre alte Sendung eigentlich vergessen können. Wir machen ein Special mit den Outtakes.“
„ Welche Outtakes? Wenn der Richterhammer fiel, war die Show bisher zu Ende.“
„ Mister Keller, wen verurteilen sie?“
„ Diebe, Mörder, Betrüger, Heiratsschwindler…“
„ Und welche Strafen haben sie bisher verhängt?“
„ Inhaftierung, Schandpranger, öffentliches Auspeitschen, Todesstrafe…“
„ Damit beantworten sie ihre Frage gerade selbst.“
Keller erstarrte.
„Betrachten sie es als eine Art Beförderung. Wir haben ihren Sendeplatz Simmons gegeben. Damit sind sie offiziell zum Henker ernannt.“
„ Ich habe doch nie in meinen Leben jemanden umgebracht.“
„ Machen sie sich deswegen keine Sorgen. Wir schicken sie in der Sommerpause auf Schulung.“
Damit war Keller einer der Anderen geworden. Wenn er einen Kindsmörder zum Tode verurteilte, machte er sich keine Gedanken. Es betraf nicht ihn. Er vertrat das allgemein gültige Recht. Er war ein Repräsentant des Fernsehens. Er lebte für den Applaus, auch wenn er nur aus der Konserve kam. Er hatte sich entschieden, gegen das Leben der kleinen Lichter, vor Jahren schon. Seine Seele dem Sender verkauft. Wenn die Lichter ausgingen, wartete seine Edelsuite im Carlton, wo immer ein Täfelchen frische Minzschokolade auf dem Kopfkissen lag. Es reichte aus, den Kopf kurz zu drehen, und wie durch Zauberhand war die Schokolade da. Die Zeiten des pickligen Pizzajungen, waren vorbei. Er hatte es zu etwas gebracht. Der amerikanische Traum: vom Tellerwäscher zum Millionär. Begann in Onkel Toms Hütte. Ja, Massa. Wenn jemand von mehr Geld oder Einfluss als du dir etwas auftrug, hattest du es auszuführen. Nach oben buckeln, nach unten treten. Denn irgendwann wäre er auch ganz weit oben.
*
Kellers Militärzeit lag Jahre zurück. Was er hier lernte, glich der Grundausbildung nicht einmal in Ansätzen. Die anderen Rekruten, die zusammen mit ihm die Übungen machten, waren ungewöhnlich schweigsam. Manchmal fragte er sich, für wen er eigentlich das Programm absolvierte. Die mürrischen Männer mit den stoppelbärtigen Gesichtern mochten Söldner sein oder Anwärter auf eine Sondereinheit. Er schlief in den Mannschaftsunterkünften genau wie sie, aber keiner wechselte mit ihm ein Wort. Mehr denn je fühlte er sich falsch am Platz. Ein Zivilist, der die Absperrung durchbrochen hatte.
„Sie machen das schon ganz gut.“
Thompson versuchte, ihm Mut zuzusprechen. In der ersten Woche robbte er wie ein Anfänger über den schlammigen Parcours. Den Respekt seiner Kameraden musste er sich erst hart verdienen. Bei seinen ersten Nahkampferfahrungen quetschte er sich einen Zeh. So richtig zugehörig fühlte er sich erst, als er an den Schießübungen teilnehmen durfte. Die kleinen Handfeuerwaffen amüsierten ihn eher. Seine Waffe war das Gewehr. Da fand sich echter Sportsgeist wieder! Er lernte, die inneren Kreise der Zielscheiben zu treffen. Die Ahnung der Macht, es könnte ein Mensch sein.
„Nun sind sie bereit für das Beil.“
„ Das Beil? Was hat das mit einer Militärausbildung zu tun?“
„ Gar nichts. Hatten sie etwa geglaubt, in diesem Camp würden Soldaten heran-gebildet?“
„ Eigentlich schon.“
„ Ich bewundere sie für ihre Naivität. Nein, hier werden
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