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Babylons letzter Wächter (German Edition)

Babylons letzter Wächter (German Edition)

Titel: Babylons letzter Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Reich
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Keller auf Beinen wie Gummi zur Bar der Fernsehmultis wankte, über der sich dichte Schwaden Zigarrenrauchs kräuselten, bauten Techniker das Bühnenbild ab. Ramirez Kopf war verschwunden, und das war auch gut so.
     
    *
     
    „ Mister Keller, sie waren eine Wucht. Nehmen sie sich einen Sekt, es ist reichlich da.“
    „ Nein danke, ich brauche  etwas Härteres.“
    „ Oho, der Mann ist zart besaitet. Kopf hoch, das kriegen sie hin.“
    Keller drehte sich zur Bar, doch was er aus den Mündern der Programmdirektoren hörte, ließ ihn erblassen. Er würde sich heute Abend betrinken. So schnell es ging. Hatte er seine Seele dem Teufel verkauft?“
    „Mister Thompson, ich habe mit unserem Mann in Guantanamo Bay gesprochen, er war völlig hin und weg. Er hätte ein paar Gefangene, die er für unsere Sendung anbietet.“
    „ Warum sollten wir gerade die mit einbauen? An Kandidaten mangelt es uns nicht.“
    „ Er dachte, wir könnten eine Art Survivalcamp daraus machen. Jede Woche wird einer gefoltert, um Geständnisse zu erpressen.“
    „ Abenteuer und Nationalstolz… das klingt viel versprechend.“

Follow the cops back home

„Ihr macht mir keine Angst mehr, hört ihr? Es ist mir egal, ob ihr mit mir redet oder nicht. Schweigt nur weiter, wie ihr es jeden Tag tut, schweigt nur! Glaubt ihr etwa, mich damit beeindrucken zu können?“
    Die Schwester beugte sich über meinen Tisch, als sie den Teller abstellte. Es war mir offenbar gelungen, sie einzuschüchtern. Als sie hochsah, öffnete sie den Mund zu einem O. Man  konnte ihre Angst förmlich riechen, und sie hatte allen Grund dazu. Denn ihr fehlte die Zunge. Ich sah mehr von ihren Zähnen, ihrem Rachen, als ich sehen sollte. Den vernarbten Stummel, wo das Messer ihr die Stimme geraubt hatte. Plötzlich wollte ich mein Essen gar nicht mehr anrühren.
    Als sie den Raum verließ, ging ich in meiner Zelle bergauf und bergab. Angst schoss mir durch die Blutbahn wie hochprozentiger Alkohol, und ich konnte weder schlafen noch ruhig sitzen. Jetzt wusste ich, wozu sie fähig waren. Ich musste hier raus, egal wie! Die Schwestern, die ich so gehasst hatte, taten mir jetzt Leid. Sie waren nicht meine wahren Folterknechte, ich hatte ihnen Unrecht getan. Im Grunde genommen erging es ihnen noch schlechter als mir. Ich konnte mich zumindest nicht über körperliche Schäden beklagen. Ob sie durch ein spezielles Ausleseverfahren bestimmt wurden? Was qualifizierte sie dazu, die Zimmermädchen des Wächters zu werden? Gab es da ein Casting? Oder entführte man die nächstbesten von der Straße? Verpassten sie ihnen eine Gehirnwäsche?
    Ich lebte unter der Gnade der Wärter, soviel war mir klar geworden. Und wie viel Mut es das Mädchen gekostet haben mochte, mir ihren verstümmelten Mund zu zeigen.
     
    *
     
    Es war alles meine Schuld! Regelverstöße wurden geahndet. Und wenn sie es nicht an mir auslassen konnten, musste jemand anderes für mich büßen. Oh ja, ich hatte ihre Botschaft verstanden. Diese verdammten Schweine! Wollten sie mich ruhig stellen oder sie? Bei ihr jedenfalls war es ihnen gelungen.
    Drei Tage schickten sie andere Schwestern, die die Mahlzeiten brachten und die Laken wechselten. Dann kam wieder das Mädchen, welches mir ihren verstümmelten Mund gezeigt hatte. Die Hand, die das Tablett abstellte, zitterte. Weil der Ringfinger fehlte. Und alles nur, weil sie sich mir offenbart hatte. Ich hätte wegsehen müssen. Keine Kenntnis nehmen. Den unwissenden Tor spielen. Ihr keine Aufmerksamkeit schenken, wie man mir keine Aufmerksamkeit schenkte. Damit hätte ich sie retten können. Ihren Finger. Und noch viel perverser der Gedanke, den ich nicht weg zu schieben vermochte: Dass sie darauf gewartet hatten. Auf dem Überwachungsvideo zusahen, wie das Mädchen all ihren Mut zusammen raffte. Hämisch kicherten. Die Scheren schliffen in freudiger Erwartung.
    Meine eigene Hilflosigkeit: Ich konnte ihr keinen Trost spenden. Wie gerne würde ich sie in den Arm nehmen. Die Tränen trocknen, die sie zurückhielt. Doch jede Geste wäre falsch und gefährlich gewesen. Ich konnte nicht ahnen, wie die Wärter reagieren würden. Ob sie das Mädchen erneut bestrafen würden, wenn ich ihr half. Meine Position hier drinnen hatte sich verändert. Ich wurde dazu gezwungen, Position zu beziehen. Nicht, dass ich darin frei wäre. Ich musste jede Bewegung und jedes Wort genau überlegen. Es fand nur in meinem Innern statt, dem einzigen Ort, den sie nicht kontrollieren

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