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Babylons letzter Wächter (German Edition)

Babylons letzter Wächter (German Edition)

Titel: Babylons letzter Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Reich
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konnten.
     
    *
     
    Ich war verantwortlich für die Menschen da draußen. Wie einem Priester im Beichtstuhl erzählten sie mir all ihre Sünden und Verfehlungen. Ich wünschte, ich könnte ihnen antworten. Ich wünschte, ich wäre keine stummer Beobachter. Und manchmal wünschte ich einfach, ich könnte meine Augen schließen, und müsste sie nicht mehr sehen. Ich war ein Verdammter, für den es keine Gnade gab. Ich fürchtete die Nacht, in der die Träume kamen. Woher kam meine Gabe? Warum sah ich all diese Dinge? Wenn man den amerikanischen Ureinwohnern Glauben schenken wollte, schärfte eine Umwelt ohne äußere Reize die Wahrnehmung. Sie schickten junge Männer in die Wüste, damit sie Visionen bekamen. Eine harte Mannbarkeitsprüfung.
    Ich akzeptierte die Tatsache, dass ich der Wächter sein könnte. Und das nicht nur, weil ich mit ihnen das innere Gefängnis teilte. Aber wenn meine Vermutung zutreffen sollte, warum fristete ich mein Dasein in Isolationshaft? An was glaubten die Anhänger des Wächterkults wirklich? Ich erkannte, dass Religion eine leere Hülle sein konnte. Wenn man sich nur auf sie stützte, um die eigenen Fehler vergeben zu wissen. Sich nicht aus seinem Stuhl erhob und sein Leben in die Hand nahm. Hatte sich etwa der Gedanke einer höheren Moral durchgesetzt? Nein.
    Ignoranz. Selbstsucht. Wollust. Habsucht. Gewalttätigkeit. Maßlosigkeit. Die Menschen lebten unachtsam nebeneinander her, und manchmal kam einer dabei unter die Räder. Es berührte sie nicht einmal, wenn es sie selbst traf. Sie lebten unter den sanften Schwingen der Ignoranz, und schimpften es Gläubigkeit. Wollte ich ihr Erlöser sein? Oder noch viel wichtiger, war ich dazu bereit? Es war nicht meine Aufgabe. Selbst wenn ich der Wächter sein sollte, was hatte ich denn wirklich zu schaffen mit dem Wächterkult?
     
    *
     
    Didit Didit Didit! Rüde wurde Zack von seinem Wecker aus einem Schlaf gerissen, der einem Koma gleichkam. Sein erster Griff war der zur Wasserpfeife, wie er es jeden Morgen tat, oder wenn er aus einem schlechten Traum erwachte oder einfach wenn er sich mit Freunden traf.  Kurzum- Gründe gab es immer, man musste sie nur suchen. Nicht dass sich Zack darüber wirklich Gedanken machen würde. Er hustete nicht mal. Als könnte er unter Rauch atmen wie Fische unter Wasser. Er ließ den Rauch träge aus seinen Nasenlöchern strömen und schaute fasziniert zu, wie ein Sonnenstrahl, der durch einen Lamellenspalt in sein Zimmer drang, den Rauch spaltete wie Laser. Darth Vader war hier in seinem Zimmer, gekommen um seinen Sohn zu holen!
    Darth Vader kam nicht wirklich, seine Eltern waren seit fünf Monaten geschieden und seitdem wohnte er bei seiner Mutter. Die arbeiten war und ihren Sohn in der Schule glaubte. Sie wusste nicht, wo oder mit wem er seinen Tag vertrödelte. Interessierte sie wohl auch nicht. Manchmal, wenn er eine Schüssel Chrispy Pops stehen ließ, räumte sie sie am Abend weg ohne ein Wort zu verlieren. Mom hatte ihr eigenes Leben. An seinem vorbei. Und am Arsch… vorbei. Zack grübelte, aber er hätte die Interessen seiner Mutter nicht einmal nennen können, wenn ihm jemand eine Pistole auf die Brust gesetzt hätte. Ihre Träume und Hoffnungen, ihre Erwartungen an das Leben… und dennoch, er umarmte sie so, wie man eine Mutter umarmen sollte. Wie er es im Fernsehen gesehen hatte. In seinem Herzen spürte er nichts. Als hielte er ein schartiges Stück Holz in den Händen.
    Er goss sich ein Glas Cola ein und rief Steve an.
    „He Alter, was geht?“
    „ Nicht viel, Cracknigger.“
    „ Haste Bock, in den Park zu gehen? Wir könnten am Brunnen skaten.“
    „ Ist gebongt.“
    „ Wie sieht’s bei dir aus mit Blättchen? Hab kaum noch welche übrig.“
    „ Kein Problem. Bring ich uns mit.“
    „ Cool, Mann. Bis gleich.“
    Zack warf sich den Rucksack lässig über die Schulter und sprang flugs aufs sein Board. Die Rasensprenkler der Vorgärten führten einen schier aussichtslosen Kampf gegen die sich ausbreitenden gelben Flächen. Der Gestank der beigefügten chemischen Düngemittel hing wie ein Dunst in der Luft. Der Rasen hingegen strahlte unbeeindruckt in seinem kränklichen Gelb. Die Fabriken pumpten all ihren Dreck ins Grundwasser. Die Reichen in Uptown konnten sich kostspielige Filteranlagen für Frischwasser leisten. Hier, in den Außenbezirken Babylons, mussten die Bewohner sich das Wasser in großen Tankwagen anliefern lassen. Zack zog sich das Schild seiner Baseballkappe tiefer ins

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