Baccara Collection 186
weit hinzog, wie das Auge reichte. Mathis entschied sich, zuerst den linken Teil zu erforschen.
In einer dunklen Jeans und einem schwarzen T-Shirt war er hier drinnen so gut wie unsichtbar. Traditionelle Mokassins sorgten dafür, dass er sich lautlos bewegte. Vorsichtig schlich er weiter und atmete nur flach. Diese Technik hatte er als Army Ranger gelernt und im Laufe der Zeit stetig verbessert. Bei seiner Arbeit war sie oft nützlich gewesen.
Es musste jemand vom Hotel dahinter stecken. Davon war Mathis fest überzeugt.
George Huxley hatte ihn auf die Idee gebracht, als sie im Büro des Botschafters das erste Mal über diesen Auftrag sprachen. Desirees Patenonkel war überzeugt gewesen, dass die Vorfälle im Stratford von einem Bewohner oder Mitarbeiter des Hotels verursacht wurden. Damit lag der ehemalige Diplomat goldrichtig. Mathis hatte gerade den Beweis dafür gefunden.
Noch hatte er nicht mit Desiree über seinen Verdacht gesprochen. Als er sich jedoch am Abend die Grundrisszeichnungen des Hotels und die Renovierungspläne für das Stratford ansah, war ihm eines klar geworden: In der dritten Etage gab es für einen ungefähr anderthalb Meter breiten Streifen keine Erklärung und keine Unterlagen.
Wann war dieser Korridor eingebaut worden? Wer hatte ihn gebaut? Und warum?
Das waren nur einige der Fragen, auf die er gern eine Antwort gefunden hätte. Vielleicht ging der Geheimgang auf die Zeit der Prohibition zurück, in der illegal Alkohol serviert wurde. Dann waren die im Hotel einquartierten Gangster mit ihren Geliebten dafür verantwortlich.
Mathis war gespannt, wohin dieser Teil des Ganges führte. Nach sechs Metern hatte er die Lösung gefunden. Er stand vor einer Tür.
Lautlos öffnete er die Tür einen Spaltbreit. Auf einem kleinen Tisch in einer Ecke brannte eine Lampe, eigentlich nur ein Nachtlicht. In dem schwachen Schein stellte er fest, dass der Raum ungefähr zwei mal zweieinhalb Meter maß, also bloß die Größe eines begehbaren Kleiderschranks hatte. An der einen Wand stand eine Liege. Kopfkissen und Decke waren ordentlich glatt gestrichen und zurechtgerückt. Neben dem schmalen Bett lagen penibel übereinander gestapelt-Zeitschriften und Zeitungen auf dem Fußboden. An einem Nagel hingen Kleidungsstücke.
Hatte sich hier früher jemand verborgen? Oder diente dieser Raum auch jetzt als Versteck? Allerdings, das Versteck wurde noch benutzt! An der Wand gegenüber der Tür hing ein aktueller Kalender, auf dem jeder Tag des Jahres säuberlich mit einem großen, roten X durchgestrichen war. Auf dem Tisch standen außerdem eine Kaffeetasse und ein Teller, von dem vor kurzem gegessen worden war.
Mathis musste an Beanos Bemerkung denken. Sein Begleiter hatte ihm gemeldet, dass regelmäßig Essensreste aus der Speisekammer verschwanden. Ja, er hatte von Anfang an richtig getippt. Es war jemand, der im Stratford - heimlich - wohnte, und er ahnte schon, wer der Schuldige war.
Im Moment musste er jedoch noch etwas Wichtiges erledigen und feststellen, wohin der Geheimgang in die andere Richtung führte.
Mathis kehrte zum Ausgangspunkt beim Besenschrank zurück und folgte dem Gang, und nach etwa sieben Metern stieß er erneut gegen ein Hindernis, das sich nicht entfernen ließ.
Erst nach einer Weile fand er zwei Löcher, die in Augenhöhe in die Wand gebohrt waren. Nun ja, es war nicht seine Augenhöhe. Er war größer.
Mathis bückte sich und blickte durch die Löcher. Von hier aus sah er Jules Christian Stratfords ehemaliges Arbeitszimmer sehr deutlich, allerdings nicht bis in den letzten Winkel.
Also hatte jemand von hier aus zugesehen und gelauscht, als Desiree ihm die Warnung und den Dolch zeigte. Jemand hatte hier gestanden, und das Geräusch, das Mathis gehört hatte, war tatsächlich aus der Wand gekommen.
Er richtete sich wieder auf.
Ob Colonel Stratford über diese Gucklöcher Bescheid gewusst hatte? Mathis glaubte nicht daran. Jedenfalls hatte der alte Herr nichts dergleichen zu seiner Urenkelin gesagt. Natürlich war es möglich, dass er mit anderen Menschen darüber gesprochen hatte.
Wenn diese Entdeckung überhaupt ein Gutes hatte, dann die Tatsache, dass der Geheimgang nicht bis zu den Schlafzimmern der Privatwohnung der Familie reichte. Zumindest in diesen Zimmern würden Desiree und Mathis ungestört und unbeobachtet sein.
Für heute Nacht hatte Mathis genug gesehen. Lautlos, wie er gekommen war, kehrte er durch den schmalen Geheimgang zurück, zwängte sich in den
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