Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
plötzlich wie eine Besessene, die Tonleiter auf einer Trompete zu üben (bis Madonna, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in den Mayfair-Studios an neuen Songs arbeitete, sich eines Tages über den »gotterbärmlichen Lärm« im Treppenhaus beschwerte); sie stöberte mit Skarbek und Howe gemeinsam stundenlang durch die Plattenläden und Boutiquen Camdens und anschließend gaben sie sich in Primrose Hill mit »White Russian«-Cocktails die Kante.
Doch an jedem Freitagnachmittag, spätestens gegen drei, gingen sie ins Tonstudio und spielten mal so eben einen oder auch gleich mehrere Songs herunter, die Amy irgendwann zwischendurch eingefallen waren, denn an jedem Freitagabend um sechs stand Nick Godwyn auf der Matte, um sich über den neuesten Stand der Dinge zu erkundigen.
»Meistens hieß es dann: ›Wie habt ihr das bloß alles innerhalb einer Woche geschafft‹«, erinnerte sich Skarbek, »und wir sagten dann: ›Na, eigentlich haben wir die
meiste Zeit damit verbracht, in Camden Platten oder was auch immer zu kaufen.‹«
Alles in allem war es dennoch offenbar eine recht unbeschwerte Zeit für Amy. Nichts schien erzwungen, sie nutzte immer nur den Augenblick, und dabei wären häufig ganz spontan »geradezu heitere Songs herausgekommen«, meinte Skarbek. Doch bis zum Album »Frank« war es noch ein weiter Weg.
Amys Unbeschwertheit rührte zu einem gewissen Grad auch daher, dass Nick Godwyn es im Spätsommer des Jahres 2002 bereits geschafft hatte, aus dem Londoner EMI-Musikverlag einen Rechtevertrag mit seiner Künstlerin herauszuleiern, mit einem Vorschuss obendrein. Amy hatte deshalb – zumindest für den Moment – keine finanziellen Sorgen. Die Miete fürs kleine Appartement, das sie sich noch immer mit ihrer besten Freundin Juliette Ashby teilte – war gesichert. Und trotzdem musste sie damals gespürt haben, dass die Party mit Skarbek, Rowe und Howard langsam auf ihr Ende zusteuerte. Denn Juliette Ashby erzählte 2007 dem »Observer«, dass ihre Freundin damals mit ihren nächtlichen Koch-Sessions begonnen hätte.
»Morgens um drei schob Amy plötzlich ein Hühnchen in den Ofen. Das tat sie nun häufiger, wenn sie Stress hatte oder wenn sie sich nicht gut fühlte: Dann ging sie immer in die Küche. Es machte ihr großen Spaß, für andere Leute zu kochen, und sicherlich beruhigte es sie auch irgendwie, aber ich machte mir immer größere Sorgen um sie. Es gab da nämlich auch so einige Nächte, da lag ich im Bett und hörte plötzlich dieses wummernde Geräusch …«
Es stellte sich heraus, dass dieses Wummern daher rührte, dass Amy mit ihrem Kopf gegen die Wand schlug.
Ohne Frage waren Amy und ihre drei lustigen Musikanten trotz des hohen Spaß- und Freizeitfaktors sehr produktiv gewesen. Sie hatten genügend brauchbares Material produziert und sich so eine solide Grundlage für die Vertragsverhandlungen mit Plattenfirmen erarbeitet. Aber für ein richtiges Album würde das bis dahin aufgenommene Material nicht reichen, denn die Songs waren zum großen Teil doch ziemlich »abgedreht« geraten.
Tatsächlich hatte Amy von ihrem geduldigen Management hier vor allem die Chance erhalten (und sie auch genutzt), unter professionellen Bedingungen in einem Studio zu arbeiten und zu üben, um ganz in Ruhe ihren Sound (und ihr Label) zu finden. Letztendlich sollten es auch nur zwei komplette Songs aus dieser Zeit auf ihr Debütalbum »Frank« schaffen: »Amy, Amy, Amy«, der aus einem albernen Wortspiel entstanden war, sowie »October«, den Amy nach dem Wochenende, an dem ihr Kanarienvogel gestorben war, ruck, zuck im Studio geschrieben hatte. Sie hatte sich irgendwie schuldig gefühlt, denn sie hatte wohl vergessen, das Tier zu füttern. Das Producer-Trio war dagegen unisono der Meinung, dass der Vogel sowieso eingegangen wäre, aber Amy hatte sich von ihrer (wahrscheinlichen) Unschuld nicht überzeugen lassen.
»Die beiden Nicks« schienen jedenfalls glücklich zu sein. Sie konnten jetzt guten Gewissens mit Amys Demotapes bei diversen Labels hausieren gehen, ein wenig pokern – und schließlich den Deal mit Island Records an Land ziehen.
Doch mit einem Plattenvertrag erhöht sich der Stress für alle KünstlerInnen ganz automatisch. Amy wurde spätestens jetzt klar, dass sie ihr musikalisches Versprechen,
das sie beim Vorsingen gegeben hatte, einlösen musste: Songs, die aus der Tiefe ihrer Seele kamen, mit starken, authentischen Texten, die berühren sollten. Ihre Plattenfirma wiederum hatte darüber
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