Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
hinaus die Vision, Amys einzigartige Stimme mit einem ultramodernen Groove zu unterlegen, der irgendwas zwischen Hip-Hop, Rhythm & Blues, Soul und einem Tupfer Reggae verkörpern sollte.
Deshalb brachte »Brilliant 19« sie mit den beiden Amerikanern Salaam Remi Gibbs und »Commissioner« Gordon Williams zusammen. Beide galten in der Szene als ausgebuffte und extrem erfolgreiche Producer, die neben dem nötigen Handwerkszeug wohl auch über das beste Studioequipment verfügten, das 2002/2003 auf dem Markt war. Remi, damals Anfang 30 und ein gebürtiger New Yorker, arbeitete in Miami. Hier sollte Amy die »jazzigeren« Teile ihres Debütalbums aufnehmen, während im New Yorker Studio von Williams die »reggae-lastigeren« Songs entstehen sollten.
Die Verpflichtung von Remi und Williams war ein weiterer klarer Hinweis darauf, wie wichtig Island Records Amys Debütalbum nahm und wie hoch ihr Stellenwert war. Die Frage war nur, ob Amy dies ebenfalls bewusst war. Ihr Projekt genoss jedenfalls oberste Priorität. Das Einzige, was jetzt noch zählte: Amy musste die beiden Produzenten unbedingt mögen und anerkennen.
Doch Remi hatte mit dem Rapper Nas und den Fugees bereits Künstler produziert, die Amy sehr schätzte, und bei Williams traf sie (neben vielen anderen gefragten und bekannten Studiomusikern) den Reggae-Gitarristen Earl »Chinna« Smith, der aus Los Angeles eingeflogen war,
und mit dem sie sich auf Anhieb auf einer Wellenwelle befand.
»Amy kam und spielte Gitarre. Und das hat richtig Spaß gemacht. Wie wir alle hat auch sie Gras geraucht. Sie hat viel positive Energie«, wird »Chinna« von Nick Johnstone zitiert.
So jettete Amy die nächsten Wochen zwischen Miami und New York hin und her, ohne Zicken zu machen. Die neuen Songs schrieb sie ähnlich spontan (und stimmungsabhängig) wie kurz zuvor in den Londoner Mayfair-Studios, aber jetzt waren es düstere, lebensnahe Songs voll Traurigkeit und Gefühl, in denen sie all das verarbeitete, was ihr auf der Seele brannte: ihr Schock, als die Ehe ihrer Eltern auseinanderging und ihr Vater Mitch ein zweites Mal heiratete, die abrupte Trennung von Chris Martin, ihrem ersten richtigen Mann, und die vielen anderen, Dramen und schmerzhaften Tragödien, die sich zwischen Männern und Frauen immer wieder ereignen, obwohl sie alle doch nur auf der Suche nach Liebe, Wärme und Geborgenheit sind.
Wenn ein Song ihrer Meinung nach fertig war, setzte sie sich mit ihrer Gitarre hinters Mikrofon – sie spielte inzwischen eine elektrisch verstärkte »Gretsch« mit Resonanzkörper – und sang; präzise, mitreißend, auf den Punkt. Soweit man es jetzt bereits hören konnte, war der Plan von »Brilliant 19« aufgegangen (wenn es denn überhaupt jemals einen Plan gab): Amy, die nun 21 Jahre alte Singer-Songwriterin, war binnen kurzer Zeit zu einer junge Frau gereift, die was zu sagen hatte.
Ihre Songs bekamen dadurch jedoch in einigen Fällen auch skandalöse Inhalte: So beschrieb sie in »Fuck me
Pumps« die missglückten Versuche von jungen Frauen, die in einer Bar den Richtigen, am besten den Millionär fürs Leben, aufreißen wollen. Amy machte sich über die verzweifelten Anstrengungen dieser Frauen lustig, die ihrer Meinung nach immer nur zu One-Night-Stands führen konnten – obwohl sie diesbezüglich ja selbst (trotz ihres jungen Alters) über ziemlich reichhaltige Erfahrungswerte verfügte.
Für Nick Godwyn gab es auf »Frank« daher mindestens einen Song, der seiner Meinung nach nicht auf diese Platte gehörte.
»Wenn ich sie während unserer gemeinsamen Zeit jemals falsch beraten habe, dann indem ich zugelassen habe, dass dieser Song mit auf das Album kommt«, sagte er. Allerdings ließ er offen, ob er tatsächlich »Fuck me Pumps« meinte oder vielleicht doch »In my Bed«, in dem Amy davon erzählt, wie sie sich von einem Kerl befingern und befriedigen lässt, auch wenn sie ihn nicht liebt. Ihre eigentliche message aber lautete: Liebe und Sex kann man trennen.
Das begriffen ihre Manager jedoch erst richtig, als Amys Vater Mitch zufällig seine Tochter fragte, was »the only time I hold your hand, is to get the angle right« heißen würde (die entscheidende Zeile aus »In my Bed«, die er nicht verstanden hatte) – und Amy in ihrer verblüffenden Ehrlichkeit schnörkellos erklärte, dass dies als eine Masturbationsanleitung zu verstehen sei, wie Mann es einer Frau mit den Fingern ordentlich besorgt. Doch da war ihr Debütalbum bereits fix und fertig
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