Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
abgemischt.
»Einige ihrer Texte erschienen mir irgendwie verworren«, sagte Goldwyn im Nachhinein, »doch in ihnen spiegeln
sich ihre ganzen Männergeschichten, ihre Promiskuität und ihr süchtig machender Charakter wider – und ihre gnadenlose Offenheit. Ein Song über einen Kerl, der sie befriedigt? Das wäre uns doch nie in den Sinn gekommen. Wer sagt so was auf einer Musik-CD? Wer sagt so was überhaupt im täglichen Leben?«
»Frank« erschien am 20. Oktober 2003 in Großbritannien und einen Monat später in den USA. Der Titel ist zweideutig; zum einen ist »frank« ein englischer Slangausdruck für »offen« oder »freimütig«; zum anderen ist es auch eine Anspielung auf ihre Kindheit, als sie mit ihrem Vater Mitch häufig die Evergreens von Frank Sinatra gesungen hatte. Die Chartplatzierungen waren zwar nicht überragend (in Deutschland kletterte »Frank« immerhin bis auf den 9. Platz, in England jedoch »nur« bis auf den 17. Platz der Album-Charts), aber die Platte verkaufte sich stetig. Es war ein Longseller, den die Kritiker mochten; schon allein deswegen, weil sich endlich mal ein Mädchen getraut hatte, »Schema F« zu verlassen, und dabei auch noch eine Stimme besaß, die einen schlichtweg umhauen konnte.
Dabei sah Amy auf dem Cover des Albums richtig brav und bieder aus: Sie zeigte sich als properer Teenager; in einem schulterfreien, rosafarbenen T-Shirt beim Gassi gehen mit einem niedlichen schwarzen Hündchen. Sie trug ihre langen dunklen Haare glatt und hatte ein leicht gebräuntes Gesicht, das sie – verbunden mit einem herzlichen Lachen – enorm gesund aussehen ließ. Die heitere Stimmung, die das Coverfoto versprühte, wurde nur durch den aufgeklebten Hinweis gestört, dass die Texte
»eindeutig« und daher nicht jugendfrei wären: »Parential Guidance – Explicit Content«.
Aber die Veröffentlichung eines Albums ist nur eine der Säulen, auf die sich der (kommerzielle) Erfolg eines Künstlers gründet. Die nächste Frage lautete daher, ob Amy ihre Platte auch auf der Bühne verkaufen könnte. Für das erste Konzert in London mit Amy als Headlinerin hatte man die »Bush Hall« im Stadtteil Shepherd’s Bush gewählt, ein Prachtbau aus den 1920er Jahren mit wechselvoller Vergangenheit: Anfangs als typischer »Ballroom« für Tanzveranstaltungen und Big-Band-Konzerte genutzt, fungierte sie während des Krieges als Suppenküche, danach als Bingo-Halle, gefolgt von einem Spielautomatenparadies und in den 1990er Jahren, schließlich war es die angesagteste Snooker-Halle der Stadt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war die »Bush Hall« dann in einen plüschigen Konzertsaal umgebaut worden, der rund 350 Besuchern Platz bot – eigentlich das perfekte Ambiente für Amys Musik, die zwar hitparadentauglich war, aber auf der anderen Seite auch viel zu intim für ein Fußballstadion.
Das Konzert entwickelte sich für Amy, die in einem eng anliegenden schwarzen Top und Leggings mit Leopardenmuster auftrat, jedoch nicht unbedingt zu einem Heimspiel, obwohl sich der überwiegende Teil der Zuschauer aus Freunden, Bekannten, natürlich der Familie und Insidern aus der Musikbranche zusammensetzte. Denn es war unübersehbar, dass sie bei den Songs, in denen die Bläser zum Einsatz kamen, auf der Bühne um Aufmerksamkeit kämpfen musste, während sie ihre wirklich starken Momente nur dann hatte, wenn sie – allein von
einer Akustikgitarre begleitet – sang. Außerdem hatte sie in den Pausen zwischen den Stücken und in den Passagen, in denen sie nicht sang, erkennbare Schwierigkeiten, mit ihrem – wohlwollenden – Publikum zu kommunizieren. Sicher, sie war jung, wahrscheinlich auch ziemlich aufgeregt, doch vor allem diejenigen, die sie im Tonstudio, am Pooltisch und beim Saufen zumeist als Wirbelwind erlebt hatten, merkten spätestens jetzt, dass Amy alles andere als eine Rampensau war; dass es ihr da oben an Selbstsicherheit und -bewusstsein mangelte, um eine mitreißende Performerin mit vollem Körpereinsatz zu sein. Das änderte sich immer erst in dem Augenblick, wenn sie dies ihrer Stimme überlassen konnte, dann aber schlagartig. Denn ihre Stimme war atemberaubend.
Insgesamt wurde dieser Londoner Auftakt zu ihrer ersten Tournee durch England, Anfang des Jahres 2004, von den strengen englischen Musikkritikern jedoch überwiegend positiv und freundlich beurteilt – er wurde »kritisch gewürdigt« Denn über die Qualität ihrer Musik und die Authentizität der Künstlerin bestanden ja
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