Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
genervt mit den Schultern.«
Die Unstimmigkeiten und Zankereien hinter den Kulissen häuften sich.
»Es gab bald schon ein paar Leute in der Plattenfirma, die regelrecht Angst vor ihr hatten«, stellte ihr Manager fest, »und einmal nannte sie die Marketingabteilung vor versammelter Mannschaft einen ›Haufen Idioten‹«.
Godwyn fürchtete wohl, Amy könnte es sich – schneller als erwartet – mit Island Records verscherzen. Und vielleicht nicht nur mit dem Label … Denn Amy, die es sich inzwischen locker leisten konnte, ein eigenes Haus am Jeffreys Place in Camden zu mieten, wurde für ihr gesamtes Umfeld immer unberechenbarer. Da man sie jedoch weitgehend in Ruhe ließ, um möglichst keine neuen Ausraster zu provozieren (stets in der Hoffnung, dass sie von diesem Trip rasch wieder herunterkommen würde), konnte sie nun allabendlich ausgedehnte Streifzüge durch ihren Lieblingsstadtteil unternehmen. Dabei schoss sie
sich häufig ab, eigentlich regelmäßig, vor allem im »Hawley Arms« oder – seltener – im »Good Mixer«.
Zudem war es problematisch, dass Amy es im Zuge ihres musikalischen Erfolges nun auch in aller Öffentlichkeit zunehmend fertigbrachte, jedwede Form von Liebe und Anerkennung, die ihr entgegengebracht wurden, harsch zurückzuweisen. Bisweilen reagierte sie auf Komplimente sogar beleidigend, ja fast aggressiv. Als die englische Sängerin Dido 2003 ihren Nummer-eins-Hit »White Flag« veröffentlichte und in einem TV-Interview beinahe schon neidvoll über Amys »fantastische Stimme« sprach, konterte Amy – ebenfalls im Fernsehen – mit dem Satz:
»Ich würde mir lieber Domestos in die Ohren kippen, als Dido hören zu müssen.«
Danach bewarf sie vor laufender Kamera ein großes Werbeplakat ihrer erfolgreichen Kollegin mit Straßendreck und meinte – wenn auch schelmisch grinsend – sie »würde Dido hassen«.
Madonna wiederum wurde von ihr als »alte Oma« bezeichnet, wobei Amys Erklärung, Madonnas Musik sei mit ihrem Alter einfach nicht kompatibel, von der Öffentlichkeit schon gar nicht mehr registriert wurde. Madonna, eine »alte Oma«: Das allein blieb haften.
Ihre verbalen Entgleisungen sollte sie im Laufe der Jahre geradezu kultivieren: Am 25. März 2009 wollte beispielsweise der Moderator Simon Amstell in seiner TV-Talkshow »Never Mind the Buzzcocks« wissen, ob sie vielleicht mit Katie Melua im Duett singen würde. Amys Antwort lautete:
»Lieber würde ich an Katzen-Aids verrecken!«
Allerdings handelte es sich dabei um eine Show, die bewusst
als Kontrapunkt zum englischen Höflichkeitswahn und Understatement konzipiert wurde. Verunglimpfungen und Peinlichkeiten zu verbreiten, wurde von den Talkgästen daher ausdrücklich erwünscht.
Und als Amy eines Tages für ein fröhliches morgendliches Telefoninterview mit »Radio One« beim ersten Klingeln zu spät aus dem Bett kam, krähte sie beim zweiten (und geglückten) Versuch der Live-Schaltung ein beherztes »Das ist doch alles Scheiße!« über den Äther.
»Wenn es so etwas wie ein Regelwerk der richtigen Promotion eines Künstlers gäbe, hätte Amy immer das komplette Gegenteil von dem getan, was drinstünde«, klagte Nick Godwyn, der praktisch hilflos dabei zusehen musste, wie der Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen sehr rasch eine eigene Maßeinheit namens Amy Winehouse bekam.
Ihrem damaligen Management – ab 2006 aber auch ihrem zweiten Manager Raye Cosbert – wurde später häufig vorgeworfen, man hätte sich nicht genügend um Amy gekümmert und sie beinahe schon »vorsätzlich fahrlässig« in »die vielen Fallen des unbarmherzigen Systems« tappen lassen. Doch man konnte Amy einfach zu keinem Zeitpunkt vorschreiben, was sie zu tun hatte. Jeden Maulkorb hätte sie sich sofort abgerissen.
»Sie tat einfach immer bloß das, was sie wollte«, beteuerte Nick Godwyn.
Raye Cosbert, der sie etwa ab Mitte 2006 betreute, äußerte sich diesbezüglich zwar nicht, aber Amys zahlreiche außergewöhnlichen und entblößenden Auftritte vor Fernsehkameras und Mikrofonen belegen, dass er sie ebenfalls so gut wie nie von MitarbeiterInnen ihrer Plattenfirma zu Interviews begleiten ließ. Vermutlich deswegen, weil
Amy sich nicht begleiten lassen wollte und der Meinung war, selbst auf sich aufpassen zu können – eine Meinung, der man nicht widersprechen durfte, es sei denn, man wollte sich einem Wutanfall aussetzen.
Einer ihrer früheren Biografen, der englische Autor Chase Newkey-Burden, konnte eine umfangreiche
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