Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
nicht gerade eine brillante Idee. Vielleicht wollte man, dass sie ihr Selbstvertrauen zurückgewann«, schrieb Godwyn in seinem Nachruf.
Und so hob sich am 18. Juni 2011 in der Belgrader Konzerthalle »Belgrade Fortress« der Vorhang. Die Halle war mit 20 000 Konzertbesuchern ausverkauft. Ein Ticket kostete 3500 Dinar, umgerechnet 35 Euro, was ungefähr einem Zehntel eines durchschnittlichen serbischen Monatslohns entspricht, viel Geld also – und dennoch ließ Amy das Publikum fast eine Stunde lang warten. Als sie endlich auf der Bühne erschien, war die erwartungsfrohe Stimmung längst auf Minusgrade abgekühlt. Darüber hinaus
mussten die Zuschauer den Eindruck gewinnen, dass Amy schon zu Beginn ihres Auftritts sternhagelvoll war. Einige Konzertbesucher wollten gesehen haben, dass Amy auf die Bühne regelrecht herausgeschubst worden war. Später würde es auch noch heißen, backstage hätten sich »wahre Dramen abgespielt«.
Die zahllosen, mitunter haarsträubenden Videoclips, mit Handys aufgenommen, die bereits direkt nach dem Konzert auf YouTube im Internet zu sehen waren, dokumentierten jedoch nur eine halbe Wahrheit. Natürlich zeigten die wackeligen Szenen ein Horrorszenario: eine torkelnde, lallende Amy, die sich völlig kraftlos mit dem Rücken zum Publikum auf ihren knochigen Hintern fallen ließ; die immer wieder von ihren Backgroundsängern gestützt, umarmt und zum Weitermachen animiert wurde – und zum Schluss stand Amy, sichtlich verängstigt, vor einem Mikrofonständer und umarmte sich selbst, wie eine Verlorene, die nicht mehr wusste, wohin.
Dabei hatte sie, wenn man den Auftritt als Ganzes sieht, ein für ihre Verhältnisse ziemlich normales Konzert hingelegt. Sie hatte hie und da ein wenig genuschelt, auch mal die eine oder andere Zeile vergessen, aber das kannte man ja inzwischen von ihr. Die Zuschauer jedoch hatten offenbar eine Amy Winehouse erwartet, wie man sie von ihren perfekten Alben her kannte. Diese hohen Erwartungen hätte Amy aber wohl auch schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht ganz erfüllen können. Darüber hinaus hatte das Publikum Amy wegen ihres verspäteten Auftritts von Anfang an wenig Zuneigung entgegengebracht. Die Folge waren viele Buh-Rufe und Pfiffe gewesen, die vor allem anfangs nicht angebracht waren. Amy reagierte zunächst
nicht auf die wütenden Zwischenrufe. Sie schaffte es trotz des enormen Gegenwindes, eine professionelle Performance hinzulegen – die man auf YouTube jedoch nicht sehen würde. Man würde nur die schockierenden Bilder zu Gesicht bekommen. Amy wurde auf der Bühne immer unsicherer. Und dann begann sie in ihrer typisch hilflosen Art damit, mit dem Publikum zu schäkern. Sie wollte es besänftigen, aber das kam ebenfalls nicht besonders gut an, vor allem deswegen nicht, weil sie offenbar von irgendwoher ständig etwas zu trinken bekommen hatte, das nicht nach Wasser aussah. Und je mehr feindliche Ablehnung ihr nun entgegengebracht wurde, desto rascher setzte sie den Becher an ihre Lippen, trank und fiel dann zunehmend in sich zusammen.
Ihre Unberechenbarkeit, längst Teil ihres Acts, war in der »Belgrade Fortress« nicht angekommen. Eine fatale Kombination aus enorm hoher Erwartungshaltung und einer scheinbar betrunkenen Amy machten diesen Auftritt erst zum Desaster. Zu einer öffentlichen Zurschaustellung einer kranken, jungen Frau – statt zum großen Come-back einer Ausnahmekünstlerin. Das Bild, das Amy von sich lieferte, war schlichtweg unerträglich. Und es wurde immer noch unerträglicher, weil niemand da war, der das Handtuch warf.
»Diese Show war eine große Schande und eine enorme Enttäuschung. Amy Winehouse ist alles andere als eine Königin – sie ist vielmehr eine Patientin einer Entzugsklinik, die ein Problem mit Alkohol und Drogen hat. Diese Frau braucht professionellen Beistand!«, lautete hinterher ein wütendes Kommuniqué des serbischen Verteidigungsministers Dragan Šutanovac.
Die Beschwerde des Politikers stand symptomatisch für das Ansehen, das Amy sich inzwischen »erarbeitet« hatte. Ihre Fans begannen sich von ihr abzuwenden. Mitleid und Mitgefühl nahmen ab, ein »Von Amy Winehouse endgültig genervt sein«-Gefühl nahm dramatisch zu. Letzteres wohl auch bei Island Records.
Zunächst wurden nach einer Krisenkonferenz die beiden nächsten geplanten Konzerte in Istanbul und Athen gestrichen, am 21. Juni 2011 dann die gesamte Tour. Ihr Sprecher erklärte, Amy wollte sich jetzt auf ihre Genesung
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