Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
sondern hatte lediglich Ehrfurcht vor dieser kleinen, zarten Frau mit der großen Stimme, obwohl er zu jener Zeit permanent benebelt war. Dass Amy ebenfalls abhängig war, wäre ihm damals jedoch völlig egal gewesen.
»Alle Süchtigen, egal welche Droge oder sozialer Status, teilen ein gleiches, offensichtliches Symptom: Sie sind nicht wirklich da, wenn du mit ihnen sprichst. Oberste Priorität für jeden Süchtigen ist es, den Schmerz des Lebens zu betäuben«, sagte er.
Mitch Winehouse bekam den anderen Anruf in einem New Yorker Hotelzimmer. Es war der 23. Juli 2011. Er hatte sich ein wenig hingelegt. Er war wenige Stunden zuvor in New York gelandet, wo er seine eigene Karriere als Sänger voranbringen wollte. Raye Cosbert, Amys und sein Manager, war schon da. Es standen Aufnahmen an, im berühmten Jazzclub »Blue Note« in der 131 West 3rd Street.
Es war nicht sein Girl , das ihn anrief, vielleicht um ihm zu sagen, dass sie sich dazu entschlossen hätte, endlich mit der Sauferei aufzuhören. Am anderen Ende der Leitung war Andrew Morris, Amys Leibwächter, Aufpasser und Babysitter. Ein bulliger Typ, erfahren, ruhig und abgeklärt. Es war der Anruf, mit dem Mitch im Grunde schon seit Jahren täglich hatte rechnen müssen.
»Du musst sofort nach Hause kommen, Mitch!«, stieß Morris schließlich hervor.
»Ist Amy tot?«, fragte Mitch.
»Ja.«
Mitch warf das Telefon an die Wand.
Es wurde ein langer Rückflug. Mitch, Raye Cosbert und Mitchs Cousin saßen nebeneinander, sprachlos, voller Trauer. Hatten sie alles getan, um Amy zu retten? Die Familie, das Management? Wirklich alles? Etwa sieben Stunden später, als sie endlich in London landeten, sollte Mitch spontan in die Mikrofone der Reporter sagen, dass es »fairer« gewesen wäre, wenn Amy vor vier Jahren gestorben wäre. Er meinte wohl »verständlicher«. Aber jetzt, warum gerade jetzt? Amy hätte schließlich schon seit 2008 keine harten Drogen mehr genommen, kein Heroin mehr, kein Kokain, sondern Substitute, unter anderem Librium. Natürlich, sie hätte getrunken, häufig viel zu viel.
»Alles, was sie machte, machte sie exzessiv. Sie trank bis zum Exzess und sie entgiftete sich bis zum Exzess. Aber die Perioden ihrer Abstinenz wurden in letzter Zeit länger, und die Perioden, in denen sie trank wurden kürzer«, sagte Mitch.
Auch Amys langjähriger Freund Kristian Marr hatte in den letzten Monaten ihres Lebens ähnliche Beobachtungen gemacht.
An ihrem Todestag hatte Marr morgens um 3.10 Uhr eine SMS von ihr erhalten:
»Ich werde immer da sein xx ABER GEHT ES DIR GUT? XXX«.
Es war die Nacht vor seiner Geburtstagsfeier gewesen, und er hatte zu diesem Zeitpunkt geschlafen. Die ganze Familie war in Whistable in der Grafschaft Kent zusammengekommen, östlich von London, am Meer. Und Amy hatte ihn den Tag über nicht angerufen gehabt, um ihm
mitzuteilen, ob sie auch zu seiner Feier kommen würde oder nicht.
»Aber dann nahm mein Vater am Nachmittag einen Anruf entgegen, als ich am Strand war und Steine flitschen ließ. Er kam angelaufen und sagte: ›Es tut mir leid, ich muss dir was sagen, und es wird ein ziemlicher Schock für dich sein: Amy ist gestorben‹.«
Kristian war im Gegensatz zu früher nicht mehr annähernd so besorgt gewesen um sie. Sie hatte ihm glaubhaft versichert, dass Drogen eine Sackgasse wären:
»Amy sagte, Drogen wären ›old school‹. Doch das Problem war, dass sie Drogen durch Alkohol ersetzt hat. Weißwein war ihr Hauptgetränk und manchmal wachte sie auf und begann zu trinken. Sie verlor dann leicht den Überblick, für Amy gab es kein Tag und Nacht, keinen Montag oder Freitag. Vor drei Monaten kam ich eines nachmittags spontan bei ihr vorbei, fand sie schlafend auf dem Küchenboden und musste ihr ins Bett helfen.«
Danach hätte er versucht, sie nie viel trinken zu lassen, wenn er bei ihr war.
»Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war ungefähr sechs Wochen vor ihrem Tod. Wir saßen auf ihrem Sofa und sahen uns den Film »Scarface« an. Amy wollte Wein kaufen gehen, aber ich überzeugte sie davon, Tee zu trinken, sich zu entspannen und einfach nur den Film zu gucken. Irgendwann schliefen wir beide auf dem Sofa ein, ich bin dann morgens gegangen, und alles war okay.«
Natürlich war nichts okay, obwohl das Jahr 2011 ziemlich verheißungsvoll angefangen hatte, mit einem zweiten Exklusiv-Auftritt von Amy und ihrer Band bei einem Privatkonzert
für einen der zahlreichen russischen Oligarchen in
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