Back to Blood
eine Nachricht an Amélia, »Ich schwöre dir, Amélia, es ist nicht meine Entscheidung, es passiert einfach.«
Sergejs Wohnung war prachtvoller als alles, was sie sich hätte vorstellen können. Das Wohnzimmer war zwei Stockwerke hoch. Alles war sehr modern, aber auf eine Art, wie sie es noch nie gesehen hatte … Glaswände, durch die man kaum hindurchsehen konnte, so extravagant waren sie mit surrealen Reliefs verziert, die herumschwirrende, herumwirbelnde Frauen in phantasmagorischen Gewändern zeigten … Sergej führte sie über eine geschwungene Treppe in den ersten Stock … Holzgeländer mit Intarsien aus War-das-etwa-echtes-Elfenbein … Er öffnete die Schlafzimmertür und ließ ihr den Vortritt … ein riesengroßer Raum mit Deckenstrahlern, die sie nur aus Klubs kannte … das Bett — es war gigantisch … Wände aus Ist-das-Samt — und dann registrierte sie nichts mehr, denn in diesem Augenblick umarmte Sergej sie von hinten, so energisch, dass sie die überwältigende Kraft seiner Arme spürte, gar nicht zu reden von seinem drängenden Becken … er vergrub seinen Kopf in ihrer Halsbeuge, und mit einer einzigen Bewegung einfach so riss er ihr das Kleid von den Schultern bis zur Hüfte herunter :::::: Amélias Kleid — hat er es zerrissen?:::::: Der tiefe und weite V-Ausschnitt war nicht dafür gemacht, noch etwas anderes darunter zu tragen, und so stand sie da … und seine Hände glitten über ihren Brustkorb nach oben —
Die Leitung zu Amélia war gekappt, verschwunden, sie war seit diesem Augenblick bedeutungslos.
18
NA ZDROWIE!
Genau zu der Zeit, als Sergej Koroljow Magdalena mit seinem Aston Martin abholte, um mit ihr zum Dinner nach Hallandale zu fahren, fanden Nestor und John Smith einen Parkplatz in einer Straße, wo Verwahrlosung herrschte. Nestor hatte in seinem ganzen Leben noch nie so viele mit Wellblech verbarrikadierte Fenster gesehen. Er und John Smith hatten unterschiedliche Ansichten über den Teil der Stadt, den man jetzt »Wynwood« nannte, was einen an herrschaftliche Anwesen denken lässt, über deren manikürte Parklichtungen der Odem Zephyrs weht. Hier hatte Igor offi ziell sein Atelier, sein Vorzeige- Atelier, sozusagen, das mit einem Telefonbucheintrag. Wynwood grenzte an Overtown, und der Polizist Nestor betrachtete es als heruntergekommenes Industriegebiet voller baufälliger ein-, zwei- und dreistöckiger Lagerhäuser, die zu sanieren sich nicht mehr lohnte … und als Rattennest aus puerto-ricanischen Kleinkriminellen, die genauso hoffnungslose Fälle waren. John Smith hingegen betrachtete es als merkwürdiges neues soziales Phänomen und — ja, ja! — als Immobilienphänomen des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts: als »Künstlerviertel«.
Überall im Land waren Künstlerviertel entstanden … SoHo (South of Houston Street) in New York … SoWa (South of Washington Street) in Boston … Downcity in Providence, Rhode Island … Shockoe Slip in Richmond, Virginia … und alle waren auf die gleiche Weise entstanden. Irgendein findiger Immobilienverwerter fängt an, ein in die Jahre gekommenes Stadtviertel voller verwahrloster alter Loftgebäude aufzukaufen … Dann trommelt er die Künstler zusammen — talentiert oder vollkommen untalentiert, spielt keine Rolle — und bietet ihnen zu lachhaft niedrigen Mieten große Lofts an … streut die Neuigkeit, dass hier ein neues Künstlerquartier aus dem Boden sprießt … und in drei Jahren oder weniger … Verpisst euch! … Jetzt kommen andere! … Scharen gut ausgebildeter und gut betuchter Leute, die ganz scharf sind auf die nostalgie de la boue, die »Nostalgie der Kloake« … die ganz scharf darauf sind, inmitten des ganzen Elends das Fluidum von Kunst und Höheren Dingen aufzusaugen.
In Wynwood verströmten sogar die Palmen die Aura der Boheme … armselig, herrenlos, schäbig … eine hier … eine da drüben … und allesamt räudig. Die Kloakennostalgiker wollten es gar nicht anders. Sie wollten keine pompösen Alleen mit imposanten Palmen. Pompöse Alleen inmitten des ganzen Elends sonderten kein Fluidum von Kunst und Höheren Dingen ab.
Nestor und John Smith fuhren gerade in einem Lastenaufzug zu Igors Atelier in der obersten Etage eines dreistöckigen, zweihundert Meter breiten Lagerhauses, das ein Immobilien verwerter in Eigentumslofts umgewandelt hatte. Alle Aufzüge in dem Gebäude waren Lastenaufzüge … die von finsteren Mexikanern bedient wurden, die nie ein Wort mit irgendwem sprachen. Ein
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