Back to Blood
verlässliches Kennzeichen für einen illegalen Einwanderer. Sie wollten so wenig Aufmerksamkeit wie irgend möglich erregen. Die Kloakennostalgiker liebten Lastenaufzüge, obwohl sie schwerfällig, langsam und altmodisch waren. Altmodische Lastenaufzüge sonderten das kloakennostalgischste Fluidum von allen ab — das schwergängige elektrische Jaulen des Industriezeitalterflaschenzugmechanismus … und das stockfinstere Gesicht des mexikanischen Liftboys …
Nestor hielt eine Digitalkamera in der Hand … die mit Rädchen, Anzeigen und Knöpfen übersät war, von denen er noch nie gehört und die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er hielt sie John Smith unter die Nase wie ein Unbekanntes Fremdes Objekt. »Wozu soll das gut sein? Ich weiß nicht mal, wo ich da durchgucken muss.«
»Sie müssen gar nirgends durchgucken «, sagte John Smith. »Sie brauchen nur hier auf dieses Bild zu schauen … und dann auf diesen Knopf zu drücken. Ach was — vergessen Sie das Bild, drücken Sie einfach auf den Knopf. Wir brauchen bloß das Gesurre, das das Ding macht. Sie müssen sich nur anhören wie ein Fotogaf.«
Nestor schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht ausstehen, wenn er nicht wusste, was er tat … und er konnte es auch nicht ausstehen, wenn John Smith eine Operation leitete und nicht er … trotz der eleganten Vorstellung, die John Smith in der Seniorenresidenz in Hallandale hingelegt hatte. John Smith setzte weiterhin auf glatte Lügen bei der Ausübung seines Reporterjobs! Er hatte Igor angerufen und ihm gesagt, der Herald hätte ihn beauftragt, eine Geschichte über den plötzlichen Aufschwung realistischer Kunst in Miami zu schreiben … und in Gesprächen sei immer wieder er, Igor, als eine der wichtigen Figuren dieser Bewegung genannt worden. Igor entpuppte sich als so eitel, als so begierig, der Anonymität zu entrinnen … dass er das nur zu gern glaubte, trotz der Tatsache, dass seine Arbeiten bisher nur in zwei weitgehend ignorierten Gruppenausstellungen aufgetaucht waren … und dass es keinen derartigen Aufschwung und keine derartige Bewegung gab. Tatsächlich gab es auch keinen derartigen Auftrag, und deshalb konnte John Smith auch keinen echten Fotografen vom Herald mitnehmen. Außerdem wollte er nicht, dass irgendwer beim Herald zu diesem Zeitpunkt Wind davon bekam. Es war noch zu früh. Erst musste er wasserdichte Fakten in der Hand haben. Topping der Vierte hatte schon bei der bloßen Erwähnung des Projekts hyperventiliert.
Der Aufzug kam im zweiten Stock rumpelnd und ruckelnd zum Stehen … ruckelnd, weil der Mexikaner den Steuerhebel hin und her bewegen musste, bis er den Boden der riesigen Aufzugskabine auf eine Ebene mit dem Boden draußen gebracht hatte … die Kloakennostalgiker standen auf diesen Teil, den rumpelig-ruckeligen Halt … er war so authentisch … Noch bevor die Türen sich öffneten, konnten Nestor und John Smith ihren Mann riechen … Terpentin! … Möglich, dass die vornehmen Kloakennostalgiker über den Geruch die Nase rümpften. Aber sie konnten sich ja schlecht beklagen, richtig? … Naturgemäß lebten arbeitende Künstler in diesen Lofts … und naturgemäß arbeiteten Maler mit Terpentin … Sie sind im »Künstlerviertel«, mein Freund! … Die Kröte müssen Sie schon schlucken, nehmen Sie es einfach als das Fluidum von Kunst und höheren Dingen inmitten des ganzen Elends.
Igor öffnete die Tür seines Lofts, und sofort war klar, dass er sich für dieses bedeutende Ereignis in seiner bislang unbedeutenden Medienexistenz grundiert hatte. Sein Gesicht war ein einziges leuchtendes ruuuschisches Glänzen. Wenn er jetzt noch seinen lustigen, gewachsten Salvador-Dalí-Schnurrbart gehabt hätte, dann wäre das wirklich ein Auftritt gewesen. Er empfing sie mit ausgebreiteten Armen — als wollte er sie beide gleich mit seinen russischen Armen umschlingen.
»Dobro poschalowat!«, sagte er auf Russisch. Und dann auf Englisch: »Willkommen! Kommen Sie nur rein! Kommen Sie rein!«
Das Doppel-K des dröhnend leutseligen Kommen Sie rein! Kommen Sie rein! blies Nestor und John Smith seinen alkoholisierten Atem ins Gesicht. Er war größer, bulliger und betrunkener, als Nestor ihn aus dem Honey Pot in Erinnerung hatte. Und dann der Künstlerviertel-Chic, in den er gekleidet war! … ein seiden schimmerndes, schwarzes Hemd, offen bis zum Brustbein, mit langen Ärmeln, die bis zu den Ellbogen hochgekrempelt waren … das über einer zu engen schwarzen Jeans hing … ein schwacher
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