Back to Blood
Natürlich ist er verzweifelt. Natürlich greift er nach jedem Strohhalm, den er zu fassen kriegt. Natürlich verwandelt er sich in einen Kreolen. Und ich habe es zugelassen … natürlich … Oh Gott … wegen mir. Dann sei jetzt um Himmels willen ein Mann! Um deines Sohnes willen, verkaufe das Haus! … Aber ist es nicht schon zu spät? … Die Immobilienpreise in Südflorida sind um dreißig Prozent gefallen. Die Bank würde sich jeden Penny schnappen, den ich dafür bekäme, und ich würde ihr immer noch Geld schulden … Und trotzdem sehe ich das Monster, das tief in meinem Innern lebt: Ich kann das nicht alles aufgeben! :::::: Also sagte er, den Tränen nahe, »Ghislaine, ich glaube … ich habe, ähhh … tja, ich muss noch einen Haufen Dinge für den morgigen Unterricht vorbereiten, und ich glaube —« Ghislaine machte es ihm leichter. »Ich gehe ins Wohnzimmer, ich muss auch noch ein paar Sachen lesen.«
Als sie das Büro verlassen hatte, bekam Lantier feuchte Augen. Offensichtlich hielt sie es für besser, ihn nicht allein zu lassen, bis sich sein Gemütszustand wieder stabilisiert hatte.
Lantier musste sich tatsächlich auf ein paar Kurse vorbereiten. Einer hieß »Der Siegeszug des französischen Romans des neunzehnten Jahrhunderts«. Der Kurs war nicht gerade mit Intelligenzbestien besetzt. Das war kein Kurs an der Everglades Global University.
»Papa, komm her! Schnell! Es ist im Fernsehen!«, schrie Ghislaine aus dem Wohnzimmer. »Los, beeil dich!«
Lantier eilte aus seinem Büro ins Wohnzimmer und setzte sich neben Ghislaine auf die Couch — Merde! — an der Naht des großen quadratischen Sitzkissens quoll die Füllung heraus, und er wusste sehr wohl, wie viel die Neupolsterung einer Couch kosten würde und dass er gerade jetzt kein Geld dafür hatte …
Das ist die Lee de Forest High School auf dem Bildschirm, kein Zweifel … was für ein Auflauf … das Gejohle! das Ge schrei! die Sprechchöre! Hundert Polizisten, sieht aus, als würden sie einen Mob in Schach halten … einen Mob aus dunklen Gesichtern, Negs und jede Schattierung von Braun, von Neg bis Hellbraun und alle Nuancen dazwischen … sie jaulen und johlen — der Mob, alle jung — sehen aus wie Schüler, außer einer Gruppe Schwarzer — nein, das können keine Schüler sein — sehen eher wie in den Zwanzigern aus, vielleicht Anfang dreißig. Haufenweise Streifenwagen, auf deren Dächern rote, blaue und blendend helle Lichter epileptisch blinken … es tut einem in den Augen weh! das blitzend helle Licht! Trotzdem erkennt Lantier im qualvollen Bruchteil einer Sekunde, wie klein und veraltet sein Fernseher ist verglichen mit den Apparaten, die andere Leute haben — Plasma, was immer das ist, keine große klobige Kiste voller Röhren oder was immer das ist, was da hinter dem Bildschirm wie ein hässlicher, billiger Metallwanst aus dem Fernseher quillt … und alle haben achtundvierzig Zoll oder vierundsechzig Zoll, was immer das misst — seziert diesen Sekundenbruchteil und schaut gleichzeitig auf den Bildschirm, wo alles in Aufruhr ist … eine schwerfällige Brigade von Polizisten, ein Bataillon …. nie hat er so viele auf einem Haufen gesehen, die versuchen einen johlenden Mob in Schach zu halten — das sind Schüler! — junge Negs, junge braune und hellbraune Köpfe mit weit aufgerissenen Mündern, die Zeter und Mordio schreien … überall Streifenwagen mit blauen und roten Lichtern auf dem Dach … Die Kamera geht näher ran … man sieht die Lexan-Schutzvisiere und Lexan-Schutzschilde der Polizisten … eine Frontlinie aus Jungen — Neg, braun, mulâtre, café au lait — und une fille saillante comme un bœuf drücken gegen die Schutzschilde … sie wirken so klein gegenüber den Polizisten, diese johlen den Highschool-Gänschen —
»Qu’est-ce qui se passe?« (Was ist da los?), sagt Lantier zu Ghislaine. »Pourquoi ne pas nous dire?« (Warum sagen die nichts?)
Wie auf Stichwort wird das Gejohle von der aufgedrehten Stimme einer Frau aus dem Off übertönt, »Offenbar wollen sie die Menge so weit zurückdrängen … dass sie den Lehrer — sein Name ist Estevez, soweit wir wissen — er unterrichtet Sozialkunde — dass sie ihn aus dem Gebäude holen, in einen Mannschaftswagen bringen und in Gewahrsam nehmen können —«
»Estevez! Das ist Philippes Sozialkundelehrer«, sagte Lantier auf Französisch zu Ghislaine.
»— aber wohin, wissen wir nicht! Im Augenblick ist die Sicherheit ihre größte Sorge! Die
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