Backstage
aufgrund einer Fehlgeburt.»
«Den Scheiß glaubt doch niemand.»
«Egal, Hauptsache, wir bleiben alle bei dieser Erklärung. Sie erholt sich in einer Klinik, dort wird sie psychiatrisch betreut. Letzteres ist vertraulich, versteht sich. Der Videodreh ist auf morgen verlegt. Tom kümmert sich um seine Frau.»
«Ist er wirklich dort?»
«Selbstverständlich. Du hast tagsüber frei, lass uns gegen Abend nochmal telefonieren. Also bis dann.»
«Meine Kollegin hat sich bei dem Sturz den Arm gebrochen», sagte Melissa schnell, bevor Reimann auflegte.
«Was? Oh Gott, das tut mir Leid, ich wollte selbstverständlich' nach ihr fragen, aber dieses Chaos, diese Müdigkeit. Sie wird doch keine Anzeige erstatten, Schadensersatz verlangen, ich meine, den Verdienstausfall übernehmen die Brauns sicher.»
«Über die Höhe unserer Rechnung verhandle ich nicht mit anderen Beschäftigten. In welcher Klinik ist Lilli Braun? Oder muss ich die Presse fragen?»
«Du bist ja hart heute Morgen, war wohl etwas viel für uns alle, in den letzten Tagen, ich nehme das nicht übel. Waldseeklinik, irgendwo in Zehlendorf, unter dem Namen Lisbeth Becker, die gleichen Initialen.»
Paula schlief noch, ruhig und tief, wie es schien, das Gesicht entspannt, den linken, bandagierten Arm auf ein Kissen neben den Körper gelegt. Leise schlich Melissa aus dem Zimmer.
Tamara war auch schon wach und versprach, mit Lebensmitteln vorbeizukommen, zuvor im Büro den Anrufbeantworter abzuhören, E-Mails zu lesen und nach der Post zu sehen.
«Sei vorsichtig, du weißt schon, Presse, TV, dürfte aber kein Problem sein, dich haben sie noch nicht uns zugeordnet.»
«Das war unnötig.»
«Kommt nicht wieder vor.»
Tamara lachte.
«Ich mache meinen Mund auf, wenn du mich wieder belehrst. Sag mal, schläft Gladys bei dir? Sie hat ihre Sachen abgeholt, meinen Schlüssel neben einen Zettel gelegt, danke und sie melde sich wieder.»
«Sie ist 'ne erwachsene Frau, Tamara, wir haben im Moment andere Sorgen.»
Melissa schenkte sich Kaffee nach. Sie erkannte einiges an Paulas Geschirr wieder. Und hier steckte auch ein Foto ihres Sohnes am Küchenschrank. Paula rechnete vorläufig nicht mehr mit seiner Rückkehr aus den USA, wo er studierte und bei seinem Vater lebte, seit er siebzehn war, nach glänzendem Abitur, wofür er seine Mutter bat, ihm seinen Vater ausfindig zu machen, der auch ihn kennen lernen wollte, Freude hatte am Ehrgeiz des Jungen, der entschlossen war, das Juraexamen an einer der renommiertesten Universitäten der Ostküste abzulegen. Mit Hilfe des Vaters, eines angesehenen Geschäftsmannes, der gute Beziehungen zur Universitätsleitung unterhielt, wurde er angenommen.
Das Foto zeigte ihn als zehnjährigen Jungen, etwa halb so alt wie jetzt, ein schmächtiges Kerlchen mit Paulas großen Augen. Was tun, bis Paula aufwachte und Tamara einträfe?
Melissa legte sich wieder auf die Matte.
Sie brauchten ein Info für die neue Band, und Melissa hatte ihren Part noch nicht zusammengestellt.
Zum Leben nach der Wende gehörte es, die eigenen Vorzüge, Fähigkeiten, Ausbildungen, sich mit all dem offen anzupreisen. Das war in der DDR so nicht üblich gewesen und bereitete ihr noch heute Probleme.
Die Band bestand aus geborenen DDRlern, nicht willkommen bei vielen Kollegen im Westen; als Konkurrenz betrachtet. Unabhängig, in welcher Band Melissa sang, hatte sie immer vielseitig Musik gehört - außer Punk, wofür sie sich mit zwanzig, als Punk Anfang 1980 Teil der Ostberliner Jugendbewegung wurde, zu alt fühlte, die Anhänger waren fünfzehn, sechzehn. Wenn sie jetzt an Sänger wie Braun dachte, bei dem sich alles um Outfit, Styling, Image und so fort drehte, um alles, nur nicht um Musik, wäre ihr jede Punkband lieber als ...
Melissa wachte auf, als Paula sie an der Schulter berührte, sie weckte. Es war beinahe eins.
Melissa gähnte, erkannte Paula und schoss hoch.
«Alles in Ordnung, mir geht's gut», grinste Paula.
Melissa fühlte sich schläfrig, wie betäubt; sie hatte nochmal mehr als drei Stunden geschlafen. In ihr Gähnen und Strecken erklang der Haustürgong.
Tamara brachte zwei große Taschen mit Lebensmitteln aus einem Bioladen.
«Sie liebt dieses Zeug», verteidigte sie ihren Einkauf angesichts Melissas kritischem Blick auf die Rechnung. «Sie hat sich schon früher mit meinem Vater darüber gestritten, der sie angiftete, ob sie mit Körnern die Welt verbessern wolle.»
«Wo ist meine Tasche? Du hattest sie zuletzt, Melissa.
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