Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
nahm nur eine Rindssuppe zu mir, mehr wollte ich meinem nervösen Magen nicht zumuten. Und ein Budweiser vom Fass.
»Erzähl weiter«, sagte Maia und wischte sich die Lippen ab.
»Seit ich die Bilder gesehen habe«, sagte ich, »habe ich das Gefühl, meine Finger und Zehen wieder bewegen zu können.«
»Bacon als Wunderheiler«, sagte Maia, »das hat was.«
»Du machst dich über mich lustig.«
»Keine Spur«, sagte Maia ernst. Ich glaubte etwas zu verstehen und strich ihr mit dem Zeigefinger übers rechte Handgelenk. Sie zog ihre Hand sofort zurück.
»Und wie kann ich dir helfen?«, fragte sie.
»Ich möchte mehr wissen.«
»Über Gespenster?«, fragte Maia. »Oder über abgetrennte Körperteile, die wieder anwachsen?«
»Über sein Leben«, sagte ich.
»Das wird dir nichts nützen.«
»Ich weiß.«
Eine Fliege kämpfte in meinem Bierglas gegen den Ertrinkungstod. Ich brach einen Bierdeckel in zwei Teile und fischte sie heraus.
»Ich verstehe es selbst nicht«, sagte ich. »Diese Gemälde sind voller Tod. Und zwingen mich irgendwie wieder ins Leben zurück.«
»Nichts strahlt heller«, sagte Maia, »als Bacons Finsternis.«
Dann kamen ihre Marillenknödel.
Am nächsten Morgen überraschte mich Maia im Maldoror mit einer vollgepackten Sporttasche. »Hier, für dich!«, sagte sie stolz. Ich zog den Reißverschluss auf und warf einen Blick hinein. Bildbände, Biografien, Monografien, Interviews. Sogar zwei VHS-Kassetten waren dabei.
»Alles aus unseren Beständen?«, fragte ich.
»Aber nein«, sagte Maia, »höchstens ein Drittel. Der Rest gehört mir. Pass darauf auf!«
Sie öffnete das Seitenfach der Tasche und überreichte mir zwei eng beschriebene DIN-A4-Blätter in einer Klarsichthülle. »Extra für dich verfasst«, sagte sie.
Maia schrieb für ein Kunstmagazin Nachrufe auf Vorrat. So knapp wie unverwechselbar sollten sie sein, hatte der Chefredakteur verlangt. Maia konnte ihn nicht ausstehen, aber die Aufgabe hatte sie dennoch gereizt. Und Maia brachte den Malern Glück. Ihre schönsten Nachrufe waren noch nicht erschienen. »Indem ich über sie schreibe, beschütze ich sie«, pflegte sie zu sagen.
»Du bist ein Schatz«, sagte ich.
»Leider war ich 1992 noch nicht in der Redaktion«, sagte Maia.
Sechs
Francis Bacon (1909 – 1992). Von Maia Schütz
»Sie starb«, sagte Bacon zu William Burroughs über den Tod von Jane Bowles, »in einem Irrenhaus in Málaga; das muss die schlimmste Sache der Welt gewesen sein. Versorgt von Nonnen, kannst du dir etwas Schrecklicheres vorstellen?«
Bacon ereilte ein ähnliches Schicksal. Der leidenschaftliche, beinahe fanatische Atheist starb an einem Herzinfarkt in den Armen zweier Nonnen vom Orden der Heiligen Jungfrau in Madrid. Es war der 28. April 1992, Bacon war 82 Jahre alt. Trotz der Warnung seines Arztes hatte er einen jungen spanischen Liebhaber besucht.
Seinem letzten Willen entsprechend gab es kein Begräbnis. »Wenn ich tot bin«, hatte er gesagt, »dann steckt mich in einen Plastiksack und werft mich in die Gosse!« So kam es dann doch nicht. Der Leichnam wurde verbrannt und die Asche zurück nach England gebracht, um sie an einem unbekannten Ort in alle Winde zu streuen.
66 Jahre zuvor war Bacon von seinem Vater Anthony Edward Mortimer, genannt Eddy, einem Pferdetrainer der englischen Armee, der den Jungen gelegentlich von Pferdeburschen auspeitschen ließ, aus dem Haus gejagt worden. Der Grund: Francis hatte in Unterwäsche vor dem Spiegel posiert. Das hätte wohl selbst der gestrenge Captain durchgehen lassen; bedauerlicherweise war es die Unterwäsche von Mrs. Bacon.
Francis ging von Dublin nach London, trieb sich dort in den Nachtclubs der Homosexuellenszene herum – da beschloss sein Vater, einen letzten Versuch zu unternehmen, den Sohn zu retten. Ein Verwandter seiner Frau, der als besonders den Frauen zugeneigt geltende Harcourt-Smith, plante im Frühjahr 1927 eine Reise nach Berlin – und Eddy vertraute Francis ihm an. Der wohlhabende Onkel quartierte sich und Francis im Adlon ein – einer der besten und teuersten Adressen in ganz Europa. Doch die Pläne des Vaters scheiterten auf ganzer Linie. Harcourt-Smith war zwar tatsächlich von Frauen besessen – aber nicht nur. »Er fickte einfach alles«, erzählte Bacon später mit unverhohlener Genugtuung. »Mein Vater glaubte, er würde mich ändern. Aber natürlich änderte sich gar nichts, denn kurze Zeit später waren wir zusammen im Bett. Dieser Mann war schon
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