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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Fliesen. Hier hatte sich seit Jahren niemand mehr das Gesicht gewaschen. Falls je.
    Ich öffnete eine Flasche Rioja Reserva und legte die Platte auf. Greg Dullis Stimme klang wie die leibhaftige Sehnsucht, das pure Begehren. Whisky, Tränen, Zigaretten.
    »Nothing is right without you here.«
    So war es. Ohne Isabel war die Wohnung tot, eine Aufbahrungshalle. Und ich war der Wächter, der darauf achtete, dass kein lebendiger Mensch die Totenruhe störte. Oder war ich selbst die Leiche?
    »I’d give all that I have just to keep you near.«
    Alles. Ich hatte ja schon alles gegeben. Es war zu wenig gewesen. Oder hatte ich noch Reserven? War noch nicht alles vorbei? Sollte ich noch einen letzten Versuch unternehmen? Sie aufsuchen, sie zurückgewinnen? Aber wodurch? Gleich würde mein Wunschbild von Isabel im Zwielicht von Oktoberdämmerung und Wohnzimmerbeleuchtung Gestalt annehmen. Dann konnte ich sie selbst fragen.
    Aber dieses Mal funktionierte es nicht wie sonst. Ich sah nur ein Flimmern. Es war wie in Isabels Star-Trek -Filmen, wenn das Beamen nicht gelang. Einen Augenblick lang formten sich die Moleküle auf der Kommandobrücke zu einem menschenähnlichen Muster, dann zerstoben sie unter den Schreckenslauten der Crew und verschwanden in den Tiefen des Alls.
    »I wrote you a letter«, sangen die Twilight Singers, »to make it clear.«
    Ich war schweißgebadet von der Anstrengung und wusste nicht recht, ob mein Versagen nun ein schlechtes Zeichen war, ein Symptom meiner allmählich schwindenden Einbildungskraft, oder ein gutes, für – ja, wofür eigentlich?
    »I’ve been thinking about you, baby. Come live with me.«
    Ich beschloss, ihr zu schreiben.
    Ich beschloss, ihr nicht zu schreiben.
    Stattdessen nahm ich einen tiefen Schluck von meinem Wein und verzog mich auf den Balkon. Eine steife pannonische Brise streifte meine Stirn und fuhr mir in den Nacken. Abkühlung! Im Hof spielten die Kinder Tempelhüpfen. Erst nach einiger Zeit bemerkte ich, dass mein Nachbar neben mir auf seinem Balkon stand und mich beobachtete.
    »Ganz schön stürmisch heute«, sagte ich.
    »Wie wahr«, sagte er.
    Er reichte mir quer über die schmale Seite der Brüstung ein Kuvert.
    »Für Sie«, sagte er.
    Ich öffnete den Umschlag. Eine kleine Feder fiel heraus und schaukelte zu Boden.
    Das Kuvert enthielt ein Flugblatt. Das Erste, was ich wahrnahm, war ein Kopf. Das Gemälde eines Kopfes. In ungewöhnlichen Farben. Eigentümlich verdreht. Aber ganz anders als Bacons Porträts. Zarter, filigraner. Etwas Vergleichbares hatte ich noch nie gesehen.
    Einladung zur Vernissage stand da. »Gesichter« von Maia Schütz . Darunter die Adresse einer Galerie.
    Ich schaute auf. Mein Nachbar war verschwunden.
    Auf der Rückseite des Flyers war eine kurze Biografie von Maia abgedruckt. Lobende Worte eines Kunstexperten. Und das Datum: 17. Oktober, 20 Uhr.
    Das war heute. In einer halben Stunde. Mein Nachbar hatte eindeutig Probleme mit dem Timing. Oder er war einfach nachlässig. Ein schlampiger Engel.
     
    Es klingelte. Das bestellte Taxi war schon da.
    Ich stürzte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter, hinaus auf den Hof. Die Kinder stoben davon. Ein schwarzer Mercedes stand auf der Rasenfläche, die Beifahrertür war schon für mich geöffnet, aber ich riss eine der hinteren Türen auf und setzte mich in den Fond.
    Wohin, fragte der Taxifahrer, nichts wie hin, sagte ich, capisco, sagte der Taxifahrer, und schon fuhren wir los.

 
    Danksagung
     
    Für Unterstützung, anregende Kritik und wertvolle Hinweise danke ich Peter Assmann, Gabriele Deutsch, Karl-Markus Gauß, Thomas Maurer, Robert Menasse, Anna Mitgutsch, Karl Müller, Susanne Purviance, Margit Schreiner, Franz Schwabeneder, Silvana Steinbacher, Julia Stemberger, Katharina Stemberger, Andreas Strohhammer, Martin Suter und Josefina Vázquez Arco.
     
    Besonders danke ich meinem Freund Roland K. für die fachkundige Abtragung der oberen Farbschicht meines Bildes und für seine Verschwiegenheit.

 
    Textnachweis
     
    David Sylvester: Gespräche mit Francis Bacon. Aus dem Englischen von Helmut Schneider und Volker Ellerbeck. Prestel Verlag, München – Berlin – London – New York, 1975, überarbeitete Neuausgabe 2009. © 1975, 1980, 1987 David Sylvester. Reproduced by kind permission of Thames&Hudson Ltd., London.
     
    Michael Peppiatt: Francis Bacon – Anatomy of an Enigma, Weidenfeld & Nicholson 1996 © Michael Peppiatt

 
    Über den Autor
     
    Wilfried

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