Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
hörte mich denn aus der Engel Ordnungen aufsagen und Luzifer den schönsten der Engel nennen.
Sie hätten sich schlicht in einem Pub in Soho kennengelernt, erzählte Bacon seinem Biografen Michael Peppiatt. »Ich trank mit John Deakin und vielen anderen. George stand am anderen Ende der Bar, kam herüber und sagte: Ihr scheint euch gut zu amüsieren. Darf ich euch auf einen Drink einladen? Und so lernte ich ihn kennen. Ansonsten wäre er mir vielleicht nie aufgefallen.«
Die Beziehung zwischen den beiden entwickelte sich zu einer siebenjährigen Tour de Force, von 1964 bis 1971, geprägt von starker sexueller Anziehung, Unmengen von Alkohol und desaströsen Reisen. Bacon war nicht nur hingerissen von Dyers Attraktivität; er war auch amüsiert von seinem anarchistischen Charme, seiner Aversion gegen alles Großspurige und Dünkelhafte. Bei den unvermeidlichen Empfängen und Banketten pflegte George die Rolle des ungehobelten, Cockney sprechenden East-End-Proletariers zu übernehmen, der keine Ahnung hatte, warum um die Bilder seines Liebhabers so viel Aufsehen gemacht wurde. Bacon mochte die Fassungslosigkeit, mit der Dyer auf die Summen reagierte, die für die Bilder erzielt wurden. 26000 Pfund für einen hässlichen Papst – diese Leute mussten verrückt sein.
Andererseits erfüllte es Dyer mit Stolz, selbst zu einem der wichtigsten Modelle für Bacons Porträts geworden zu sein. Aus dieser Tatsache speiste sich mehr und mehr sein Selbstwertgefühl – und seine Abhängigkeit. Großzügig von seinem Porträtisten mit Geld versorgt, gab Dyer seine kleinkriminellen Aktivitäten auf und ersetzte sie durch endlose Sauftouren. Wenn er dann schwankend, aggressiv und liebesbedürftig in Bacons Atelier auftauchte, kam es häufig zu lautstarken Auseinandersetzungen. Wenn Bacon ihn nicht einlassen wollte, konnte es vorkommen, dass Dyer einfach die Tür eintrat. Als sich der Hass des Zurückgewiesenen gegen die Bilder richtete, wurde Dyer zur Belastung für seinen Geliebten. Die Haltlosigkeit und Schwäche des einen untergrub die Achtung des anderen. Der weinerliche, flehende Mann verlor seine sexuelle Macht. Das spürte er und trank noch mehr. Die Spirale drehte sich nach unten, hinein in den Abgrund. Dyer schluckte Schlaftabletten, Bacon fand ihn rechtzeitig und ließ ihm den Magen auspumpen. Der Versuch einer gemeinsamen, versöhnlichen Reise nach Kreta endete erneut im Debakel. Noch ein Selbstmordversuch, noch eine Rettung.
Doch der Retter war nicht mehr bestürzt, er war angewidert.
George hatte verloren.
Als ihm das bewusst wurde, sah er nur noch einen Ausweg: Rache.
Er denunzierte Bacon bei der Polizei. Man würde Haschisch bei ihm finden. Die Polizei rückte an, mit vier Mann und zwei Schäferhunden. Tatsächlich fanden sie 2,1 Gramm Cannabis, eingewickelt in Silberpapier, auf dem Boden des Ateliers.
Bacon wurde abgeführt. Seine Angaben – er habe keine Ahnung, woher das Haschisch komme, er könne es nicht einmal rauchen, da er Asthmatiker sei – konnten eine Anzeige nicht verhindern.
Die Vorbereitungen zur Gerichtsverhandlung wurden von den Medien mit entsprechendem Getöse begleitet. Dieser Mann war ihnen ohnehin nicht geheuer; jetzt lag er angeschlagen auf dem Boden, und die Geier begannen zu kreisen.
Aber Bacon hatte Glück. Die Geschworenen glaubten seiner Version des Geschehens und sprachen ihn frei. »Ich bin Mr. Dyer nicht böse«, sagte Bacon dem Evening Standard beim Verlassen des Gerichtsgebäudes. »Er ist ein sehr kranker Mann. Ich werde ihn weiter beschäftigen.«
So war es dann auch. Der Kontakt brach nicht ab. Im Oktober 1971 sollte eine große Retrospektive im Pariser Grand Palais eröffnet werden. Diese Ehre war vor Bacon nur Picasso zuteil geworden. Und Dyer wollte mit nach Paris. »Zwischen uns ist schon ewig nichts mehr gewesen«, berichtete Bacon später, »aber da er auf so vielen Bildern zu sehen war, konnte ich schlecht nein sagen.« Bedingung: eine Entziehungskur.
Die beiden quartierten sich im Hôtel des Saints Pères ein. Es wurde rasch wieder laut. Gäste beschwerten sich über das Geschrei, das Nacht für Nacht durch die Gänge hallte. Bacon war wütend. Er fühlte sich von Dyer belästigt, gestört in seinen Vorbereitungen für die große Eröffnung. Staatspräsident George Pompidou wollte sie höchstpersönlich vornehmen. Michel Leiris hatte den Katalogtext verfasst. Die Pariser Kunstszene war in Aufregung wie schon seit Jahren nicht mehr. Im Schatten des sich
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