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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Fotografien, Abbildungen aus Büchern und Zeitschriften, Malutensilien, handschriftliche Notizen, Reste von aufgeschlitzten Gemälden und der Staub von drei Jahrzehnten angesammelt. Fotos von Baudelaire und Giacometti fanden sich neben Abbildungen von Goebbels und De Gaulle, Aufnahmen von Raubtieren mit blutverschmierten Mäulern neben dem ausgeschnittenen und als Schablone verwendeten Kopf von George Dyer, Stofffetzen für die Rippenmuster neben Reproduktionen eigener Werke. Schicht um Schicht wurden die Bodenschätze kartografiert und abgetragen. Am Ende waren es Archäologen, die das für Bacon so fruchtbare Chaos für die Nachwelt konservierten.
     
    »Glauben Sie, dass es etwas gibt, das außerhalb des Augenblicks existiert?«, fragte Melvyn Bragg.
    »Nein«, antwortete Bacon, »ich glaube an nichts. Wir werden geboren und wir sterben, das ist alles. Es gibt nichts sonst. Aber ich bin zutiefst optimistisch.«
    MB: »Wie können Sie da optimistisch sein?«
    FB: »Indem ich einfach für den Moment lebe. Im Heute zu existieren, macht mich optimistisch.«
    MB: »Optimistisch weswegen?«
    FB: »Nichts. Ich bin optimistisch wegen nichts. Ich wurde eben mit diesem optimistischen Naturell geboren. Ich bin einfach zutiefst optimistisch wegen nichts.«

 
    Sieben
     
    In den folgenden Wochen verbrachte ich viele Abende und Nächte mit einer Halogenleselampe auf meinem Balkon. Der Pullover mit den zu langen Ärmeln, den Isabel mir im ersten Jahr unserer Ehe geschenkt hatte, schützte mich vor der Kälte. Er zerfiel zwar schon fast in seine Einzelteile, aber ich konnte mich nicht dazu entschließen, ihn wegzuwerfen.
    Ich verschanzte mich hinter den Büchern, bis mir die Bilder und Geschichten vor den Augen verschwammen. Die Lesebrille grub rote Furchen in meinen Nasenrücken.
    Eines Abends wurde unter Gelächter und Geschäker die Nachbarwohnung aufgesperrt. Ein frischvermähltes Pärchen, einen Monat zuvor eingezogen. Eine kleine Stichelei meines Schicksals. Kurz darauf hörte ich diese speziellen Laute, bei denen man nie weiß, ob jemand sich sehr freut oder in den letzten Zügen liegt.
    Ich saß auf dem winzigen Balkonstuhl neben einem Bücherstapel und lagerte meine Beine hoch auf der Brüstung. Mittlerweile war ich gefühlsmäßig dermaßen verwahrlost, dass ich meine Füße in den schwarzen Socken irgendwie anziehend fand. Hätte mich fast nach vorn gebeugt, um die leichenweiße Stelle zwischen dem Sockengummi und dem Saum der Hose zu küssen. Legte dann aber doch nur die Arme um mich, um mir ein Mindestmaß an Zuwendung angedeihen zu lassen. Half aber auch nichts.
    Einzig die Bilder im KHM hatten es vermocht, das Gefühl meiner Versehrtheit kurzfristig zu lindern. Die Farbtafeln in den Katalogen und Kunstbänden konnten mich nicht entschädigen. Die Wirkung der Originale war durch keine noch so hochwertige Reproduktion zu ersetzen. Und sie ließ rasch nach und erzeugte Verlangen nach mehr. Bacons Gemälde, meine ganz privaten Opiate.
    Und nun waren sie weg. Abgereist, wie Isabel.
    Es wäre schön, die Bilder um sich zu haben.
    Zumindest eines.
    Ein kleines Triptychon, zum Beispiel.
    »Arthur«, sagte ich laut zu mir selbst, »komm wieder auf den Boden. Mach dich nicht verrückt.« Die Tür des Nachbarbalkons ging auf. Der Mann trat heraus und zündete sich eine Zigarette an. Er lehnte sich über die Brüstung und nickte mir zu.
    »Tag und Nacht bei der Arbeit, Herr Valentin?«
    »Gewissermaßen«, sagte ich.
    »Muss schön sein«, sagte er. Die verschwitzten Haare fielen ihm in die Stirn. Seine Schultern waren ein wenig zu schmal für die Jacke seines Jogginganzugs. »Sich für etwas begeistern zu können, meine ich.«
    »Geht so«, sagte ich.
    »Liebling«, rief eine Stimme.
    »Seien Sie dankbar«, sagte er traurig und drehte sich um.
    Auf seinem Rücken klebte eine Taubenfeder.

 
    Acht
     
    Einem beharrlichen Mythos zufolge lernte Francis Bacon George Dyer auf kuriose Weise kennen. George, ein kleiner Gauner und Gelegenheitsdieb, war in Bacons Atelier eingebrochen und ertappt worden. Bacon zeigte ihn aber nicht an, sondern verführte ihn. Diese Legende war unzerstörbar. In John Mayburys Film Love Is the Devil von 1997 fällt Daniel Craig geradewegs vom Himmel durch eine Öffnung im Dach auf den Atelierboden; sein erstes Wort ist merde . Angesichts des Einbrechers sagt Sir Derek Jacobi nur: »Komm ins Bett – und du kriegst, was immer du willst.« Später muss Jacobi dann folgerichtig wer, wenn ich schriee,

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