Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
sein.
Fünf
»Fang endlich an«, sagte Maia. »Ich platze vor Neugier.« Am Nachmittag hatte ich sie um ein Gespräch außerhalb unserer Arbeitsräume gebeten. Wir hatten uns zum Abendessen beim Ubl in der Pressgasse verabredet, weil Maia die Brathühner aus dem Rohr dort so liebte.
»Ich möchte dir«, sagte ich und nestelte an meiner Stoffserviette herum, »für all das danken, was du in den letzten Monaten für mich getan hast …«
»Ist ja gut«, sagte Maia, »lass mich nicht so zappeln.«
»Ich habe«, sagte ich, »eine etwas seltsame Begegnung gehabt.«
»Klingt, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»So ungefähr.« Ich malte mit einem Zahnstocher Linien auf das weiße Tischtuch.
»Du weißt, dass die Trennung von Isabel nicht leicht für mich war.«
»Untertreibung des Jahres«, sagte Maia.
»Aber langsam müsste doch eine Linderung eintreten«, sagte ich. »So ist es aber nicht.«
»Du musst Geduld haben«, sagte Maia. »Die Zeit …«
»Sag es nicht!«, rief ich.
»Verzeihung«, sagte Maia.
»Ich hab einiges versucht. War sogar bei Dr. Stastny.«
Maia hob die rechte Augenbraue. »Dem Analytiker, der immer die Lyrikbände bei uns kauft?«
»Genau bei dem.«
»Und wie war’s?«
»Ich hab ihm eine Stunde lang von Ripley erzählt. Daraufhin hat er mich gefragt, ob ich wisse, wie der Bordcomputer des Raumschiffs Nostromo in Alien heißt.«
»Und?«
»Ich wusste es.«
»Aber ich nicht.«
»Mutter.«
»Was?«
»Der Bordcomputer heißt Mutter.«
Maia lachte. »Wie schön. Aber hat er dir auch was geraten?«
»Ich möge doch«, sagte ich, »meinem Schmerz eine Stimme geben. Briefe an Isabel schreiben, die ich nicht abschicke. In den Wald gehen und meine Wut hinausschreien. Mein inneres Kind füttern. Notfalls in die Tischkante beißen.«
»Gute Güte«, sagte Maia.
»Du wirst nicht überrascht sein, wenn ich dir sage, dass der Erfolg eher bescheiden ausfiel.« Maia spielte mit ihren schwarzen Stirnfransen und schenkte mir einen mitfühlenden Blick.
»Ich fühle mich«, sagte ich ermutigt, »wie eines der Opfer der aztekischen Priester. Obsidianmesser rein, Herz raus, fertig. Nur dass ich weiterleben muss.«
In diesem Moment legte jemand ein Messer vor mich auf den Tisch. Und eine Gabel.
»Arthur«, sagte Maia vorsichtig, »glaubst du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Ich meine, Scheidungen kommen vor. Auch bei anderen Menschen, nicht?«
»Andere Menschen interessieren mich nicht«, sagte ich.
»Das könnte dein Problem sein«, sagte Maia und lehnte sich zurück. »Sonst wäre dir längst die Kellnerin aufgefallen.«
»Wer?«
»Die Kellnerin. Die gerade aufgedeckt hat. Jetzt steht sie hinter dem Tresen. Sie kann ihre Blicke nicht von dir lassen.«
»Du fantasierst, Maia«, sagte ich, ohne den Kopf zu wenden.
»Auch wenn du’s selbst nicht mehr glauben kannst: Du bist immer noch eine imposante Erscheinung. Nur dürr bist du geworden seit der Scheidung.«
»Ich bin im Moment nicht empfänglich für Schmeicheleien.«
»Schade. Das war früher anders, nicht? Ich meine, vor Isabel. Auf der Uni warst du doch der Schwarm der Studentinnen.«
»Ich? Niemals!«
»Hast du mir selbst erzählt. Zu später Stunde, in aufgekratzter Stimmung.«
»Sie wollten, dass ich ihnen bei den Seminararbeiten helfe. Das war alles.«
» Unter die Arme greifen , heißt das nicht so?«
»Lass das, bitte. Darum geht’s jetzt nicht!«
Maia strich sich mit der Gabel über den Handrücken. »Schau, Arthur: Trennungen hinterlassen Wunden. So geht es uns allen. Man muss damit fertigwerden. So banal ist das.« Sie klang plötzlich traurig.
»Bei mir ist es aber mehr als eine Wunde«, sagte ich bockig. »Es ist, als fehlte mir ein Arm oder ein Bein. Einfach abgerissen. Und nichts hat geholfen. Bis vor drei Tagen.«
»Als du dem Gespenst begegnet bist.«
»So ist es.«
»Und wo? Auf dem Friedhof?«
»Im Kunsthistorischen Museum.«
Maia verschluckte sich. »Du warst bei Bacon?«
»Ist dir nicht gut?«, fragte ich und klopfte ihr sanft auf den Rücken. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Er war«, sagte Maia leise, »einmal sehr wichtig für mich.«
Sie machte ihr Sphinx-Gesicht. Es bedeutete: keine weiteren Fragen zu diesem Thema.
Die Chefin des Hauses servierte Maia ihr goldbraunes Huhn, dazu Erdäpfelpüree und eine Schüssel mit Salat. »Endiviensalat«, sagte Maia ergriffen. Sie schnappte sich ihr Besteck und verdrückte die Köstlichkeiten in einem Höllentempo. Ich
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