Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Isabel.
Was war hier eigentlich los? Schickte mir ein toter britischer Maler höhnische Kassiber aus dem Jenseits? Saß er in seinem Höllenpfuhl, vor sich einen kleinen Monitor, auf dem er jeden meiner Schritte verfolgen konnte? Und lachte sich tot? Dem Himmel sei Dank, dass ich nicht zur Paranoia neigte.
Three Studies for Head of Isabel Rawsthorne . Gemalt 1965, acht Jahre vor dem sterbenden Mann. Ebenfalls auf schwarzem Grund – aber sonst war alles anders. Die schiere Lebensgier platzte dieser Frau aus allen Ritzen und Falten ihres Gesichts. Gleißend das Weiß, das ihren Schädel durch die Haut nach außen drückte. Auf der Stirn, auf allen drei Stirnen. Nasenbein links, Jochbein rechts. Rechts ein weißer Zyklon, im Zentrum das linke Auge. Die Haare aufgewühlt von einem Wind, der auf jedem Bild aus einer anderen Richtung kam. Nie hatte ich ein schöneres Rot gesehen. Ich stellte mir Isabel vor, die andere Isabel, wie sie Modell saß, Champagner trank, auf ihrem Sitz hin und her wetzte, ich hörte ihre ungeduldigen, geistreichen Scherze. Bacon lief im Atelier herum, mit einem Pinsel in der rechten Hand und einem Ventilator in der linken. Der Ventilator sah aus wie in Casablanca , Bacon sah aus wie Bogart. Alles war Hitze, Marokko, elektrisierte Körper, flimmernde Luft, Gelächter, Abschied und Moskitos.
Auf dem linken Bild war das rechte Auge vollständig verwischt. Die Spur eines breiten, wütenden Pinsels zog sich in einem zweiten Strich über die Wange. Auf dem Nasenrücken hockte eine Venusfliegenfalle mit winzigen scharfen Zähnen. Beinahe unversehrt der Mund; ein dunkler Fleck am Mundwinkel verstärkte nur die Gegenwart der Lippen. Unter der dünnen Haut mit den feinen Rissen wölbte sich das verletzbare Fleisch, drohte, alles zu verspotten, was ihm nahezukommen gedachte. Ich war ganz sicher: Wenn ich einen Finger an diese Unterlippe legen würde, hätte ich danach einen Tropfen Blut auf der Kuppe. Meines oder ihres. Ich streckte die Hand nur ein wenig vor, schon ging die Alarmanlage los. Nur ganz kurz, ein Wärter kam, wies mich höflich zurecht, die Hälse der Touristen rasteten rasch wieder ein, Stille. Auf der Mitteltafel ragte der Schwanz eines Fischchens aus Isabels vollem Mund, die Pupille des rechten Auges war rot, von einem Querstrich durchbrochen, nicht von dieser Welt. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, an ihrem Ende hing ein schwarzes Oval, ein Monokel, durch das Isabel auf die Menschen blicken konnte, die sie betrachteten. Die Nase auf der rechten Tafel schnitt sich den Raum, der ihr zustand, hinein in das Schwarz, das sie umgab. Ich bin nicht aufzuhalten, sagte dieses kühne Gesicht, von keiner Dunkelheit. Und doch waren diese Köpfe verformt, geknetet, zugerichtet; das Fleisch hing roh an den Knochen. Abgezogene Haut. Bloßliegende Nervenenden. Muskelschleifen, die die Bewegung des Pinsels sichtbar machten. Pinsel, in organische Materie getaucht – sonst konnte unmöglich dieses Rot entstehen. Niemand konnte dieses Rot aus Ölfarben zusammenmischen. Diese verwüsteten Köpfe waren am Leben. Hingewuchtet auf die Leinwand, noch warm.
Später sollte ich erfahren, dass Isabel niemals Modell saß. Bacon arbeitete ausschließlich mit Fotografien. »Es stört mich, wenn sie vor mir sitzen«, sagte er. »Wenn ich sie mag, möchte ich nicht vor ihren Augen die Kränkung ausführen, die ich ihnen mit meiner Arbeit zufüge.« Isabel Rawsthorne fand die Bilder vor allem »fabelhaft genau«.
Vier
In der folgenden Nacht gelang es mir, vorübergehend nicht an Isabel zu denken. Wenn ich die Augen schloss, sah ich nicht mehr diesen verfluchten kretischen Strand, nicht mehr die Fältchen um Isabels Mund, dieses Zucken darin, bevor sie den Satz sagte. Ich sah die Fledermaus. Ich sah die Türstöcke, die wie Wrackteile auf einem grünen Plastikmeer trieben, das vorgab, ein Boden zu sein. Ich sah die Lippen der anderen Isabel. Einen anderen Tod, ein anderes Leben. Die Bilder hatten Kontakt aufgenommen. Ground Control to Major Tom. Sie flüsterten mir Sätze ins Ohr.
So ist es, sagten sie. Man kann nichts tun. Nur weiterleben. Menschen gehen, man bleibt zurück. Man muss die Abwesenheit dessen, den man liebt, ertragen. Wir haben alle das Messer schon im Rücken, auch wenn es sich als Pfeife verkleidet hat.
Ich wälzte mich im Bett herum, ich wollte schlafen. Zuhören wollte ich aber auch.
Und deswegen, Arthur, sagten die Bilder, hör endlich auf, eine Pfeife zu
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