Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Ehe begegnete man so mancher Spukgestalt aus der Alptraumzone des anderen. Manche Ungeheuer konnten sich einfach nicht so lange verstecken. Aber was wusste man wirklich voneinander? Nichts, wie ich gerade feststellen musste. Absolut nichts.
»Was«, fragte ich, »stell ich mir denn vor?«
»Schau«, sagte Isabel, und jetzt wurde ihr Tonfall milder, aber nicht weniger bedrohlich. Ihre Studenten mussten diese Stimmlage kennen. Vor allem die unterbelichteten unter ihnen. Die unbelehrbaren. Die hoffnungslosen Fälle.
»Es ist mir alles zu eng geworden. Spießig, ritualisiert, vorhersehbar, verstehst du? Immer der gleiche Trott. Nichts Aufregendes mehr, keine Überraschungen.«
Der Kellner freute sich, dass ich noch eine Karaffe bestellt hatte. Er schleppte etwas aus dem Schuppen in die Taverne. Es war ein Plattenspieler. Der Mann fing an, Musik aufzulegen. Die erste Nummer war Owner of a Lonely Heart . Ich schwöre. Isabel ist meine Zeugin. Der Kellner hatte eine Begabung als Discjockey. Fingerspitzengefühl.
»Wie schön«, sagte ich, nahm eine Zigarette aus Isabels Packung und zündete sie an. »Sie spielen unser Lied.«
Isabel sah mich fassungslos an. Mir war nicht ganz klar, ob es an meinem Satz lag oder an der Tatsache, dass ich im Begriff war, nach zehn Jahren meine erste Zigarette zu rauchen. »Das war nicht sehr klug«, sagte Isabel, und ich war mir immer noch nicht sicher, was sie damit meinte. Die ersten Züge fuhren mir mit glühenden Dolchen in die Lunge, ich hustete, aber der Schmerz war gut, so tröstlich konkret. Verständlich, nachvollziehbar, dem Ursache-Wirkungs-Prinzip folgend, et cetera.
Hinter einem Felsen kroch der Mond hervor, diese nachtaktive Kellerassel. Auch am Funkeln der ersten Sterne konnte man sich erfreuen, wenn man wollte.
»Eigentlich doch ganz schön hier«, sagte ich. »Wollen wir nicht noch eine Woche dranhängen?«
»Ach Arthur«, sagte Isabel, »sei nicht kindisch. Komm, lass uns gehen.«
Aber ich wollte nicht gehen. Ich hielt mich an meiner Karaffe fest. Starrte abwechselnd auf Isabel und die Glut meiner Zigarette. War kurz davor, den Kopf in den Sand zu stecken. Buchstäblich. Dann hätte ich allerdings die wunderbare Musik nicht mehr gehört. I Only Have Eyes for You . Der Mann an den Tellern zog sein Pärchenbeschallungsprogramm durch, ohne Erbarmen. Isabels Gemütslage schien sich nicht ganz damit zu decken. Verliebt war sie jedenfalls nicht. Sie winkte dem Kellner, sie wollte zahlen. Ich wollte noch Wein. Der Kellner blickte von ihr zu mir und wieder zu ihr. Er wartete auf eine Entscheidung. Isabel und ich stritten. Vor allem ich stritt. Es war schön. Es war ein richtiger Ehestreit. Die Chancen, dass es unser letzter war, standen nicht schlecht.
Wir zahlten natürlich, ich bekam keine neue Karaffe mehr. »Es hat doch keinen Sinn, Arthur. Das macht es doch nicht besser.« Isabel wollte mich stützen, als ich mich erhob, doch ich ließ es nicht zu. »Schau«, sagte ich in einer letzten Aufwallung von Trotz und streckte meine bebende Rechte in Richtung eines besonders hellen Sterns, »Venus!«
»No Venus«, sagte der Kellner. »Wega. Venus tomorrow morning.«
Ich wollte ihm gegen sein Hobbyastronomenschienbein treten, verfehlte es aber knapp und schlug der Länge nach hin, mit dem Gesicht voran in den Sand. Schmeckte nicht schlechter als der Wein, der Sand. Isabel stöhnte entnervt, es war ein dem venusfreien Himmel entgegengeschleudertes Ich-habe-die-richtige-Entscheidung-getroffen-Stöhnen , ein Stöhnen als Zeugenanrufung, das keinen Widerspruch duldete.
Sie zog mich hoch, es ging ganz leicht, ich hatte mich ergeben.
Auf dem Weg zurück ins Apartment sagte ich nichts. Es war anstrengend genug, meine Schritte zu koordinieren. Fuß vor Fuß, langsam und würdevoll, die Choreografie eines Verlorenen.
Isabel ließ mich vor der Haustür auf den Boden sinken wie eine Einkaufstasche, die zu schwer war, und schloss die Tür auf. Ich sah sofort, dass das zwei Wochen lang vergeblich verlangte, dann erbetene, am Ende geradezu erflehte Kakerlakenvernichtungsmittel endlich zum Einsatz gekommen war. Nicht, dass die Viecher jetzt weg waren. Eher im Gegenteil. Sie waren von der chemischen Attacke nur derart geschwächt, dass sie nicht mehr flüchten konnten, als das Licht anging. So war es uns vergönnt, zu sehen, wie viele es wirklich waren.
Isabel reagierte nicht. Es war erstaunlich. Sie schien sie nicht wahrzunehmen. Wie ein Luftkissenboot schwebte sie über das Gewimmel,
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