Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Vergil .
Plötzlich hörte ich Isabel weinen. Ich sprang von der Couch hoch. Ich musste etwas tun.
Ich setzte mich wieder hin. Ich wusste, ich konnte ihr nicht helfen.
Etwas, das sie nicht spüren konnte, würde sie töten. Nichts konnte es aufhalten.
»Hallo, Arthur«, sagte Isabel.
»Hallo«, sagte ich, mit so wenig Verzweiflung wie nur irgend möglich in der Stimme.
»Alles Gute zum …«
»Danke«, sagte ich schnell, aber Isabel ließ sich nicht beirren.
»… Geburtstag!« Sie atmete durch. Die Mission war erfüllt. Bald würde es vorbei sein.
»Geht’s dir gut?« Da war keine Sehnsucht in der Stimme, kein Bedauern, nichts. Nur ein Knistern in der Leitung. Sie musste weit weg sein.
»Ach«, sagte ich, »schon, ja, durchaus.« Zigarette in der Linken, Budweiser in der Rechten, Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt.
»Fein«, sagte Isabel.
So ging das nicht. Ich dämpfte die Zigarette aus und nahm den Hörer in die Hand. Er war feucht. Sie musste den Schweiß schon riechen.
»Wo bist du?«, fragte ich. Irgendwo musste noch Cognac sein, aber ich kam nicht hin. Das Telefonkabel war zu kurz. Da war eine Pause jetzt, wieso sagte sie nichts?
»São Miguel«, sagte Isabel. Ehrlichkeit war eine ihrer Stärken. Jetzt hörte ich den Wind, den ich so gut kannte.
»Die Bar?«, fragte ich, ein Strohhalm, ein dünner, durchweichter, lächerlicher Strohhalm. Es gab sie tatsächlich, diese Bar, in der Bäckerstraße. Ich hasste sie, Isabel hasste sie. Wir beide kannten niemanden, der sie nicht hasste. Überteuerter Rotwein, unfreundliche Kellner, versnobte Gäste. Ja, musste Isabel jetzt sagen, ich bin so allein ohne dich, mir ist nichts Besseres eingefallen als das São Miguel . Sofort würde ich hinkommen und sie in die Arme schließen.
»Nein«, sagte Isabel. Rauschte die Leitung oder war es tatsächlich das Meer? Isabel auf den Azoren, ohne mich, das war undenkbar.
Sie war dort. Sie konnte nicht dort sein. Nicht ohne mich.
»Allein?«, fragte ich.
»Ach, Arthur«, sagte Isabel. Es klickte. Das Rauschen war verschwunden.
Mehr als von ihren Filmen, mehr als von den Sätzen, mit denen sie die Visionen der Regisseure zu umzingeln versuchte, mehr als von den kleinen Konventionen, die ihr dabei halfen, die Zeit in Scheiben zu schneiden, viel mehr als von mir selbstverständlich, erhoffte Isabel sich Linderung vom Meer. Ein gemeinsamer Urlaub, der nicht an einen Strand führte, war unvorstellbar. Es musste aber unbedingt ein Meer sein, in dem man schwimmen konnte. Norwegische Fjorde oder der Finnische Meerbusen – zuweilen war es auch ich, der Vorschläge machen durfte – entlockten ihr nur ein verständnisloses Lächeln. Isabel musste da rein.
Sobald sie Sand zwischen den Zehen spürte, huschte ein Ausdruck der Dankbarkeit über ihr Gesicht, als dürfte sie nach Jahren im Exil endlich wieder heimatlichen Boden betreten. Wurden ihre Knöchel vom Meerwasser umspült, wich alle Angestrengtheit aus ihrem Gesicht. Was immer sie noch Minuten zuvor gequält haben mochte: Es war verschwunden. Wohin wir auch fuhren, der erste Weg führte sie ins Wasser. Der Ablauf war immer der gleiche: Isabel kommt an, fahrig, ungeduldig, mich im Windschatten; die Willkommensworte an der Rezeption kann sie nicht richtig hören, sosehr sie sich auch bemüht, höflich zu sein, sie riecht schon das Salz; ich trage unsere Daten ins Empfangsformular ein, während sie sich die Koffer ins Zimmer bringen lässt, mir immer uneinholbar voraus; als ich endlich selbst im Zimmer bin, ist Isabel schon wieder weg. Auf dem Boden ihr aufgerissener Koffer; vom Balkon aus sehe ich sie, bis zur Hüfte im Wasser, sie winkt mir zu, ein gelandeter Engel.
Für mich bleiben die Arbeiten des Bodenpersonals: Lage sondieren, Schränke suchen, Wäsche einschlichten. Ungeziefer orten und gegebenenfalls die Vorhut vernichten. Im Katalog versprochene Extras prüfen und, falls nicht vorhanden, an der Rezeption einfordern: ein Konglomerat von minderen, aber notwendigen Prozeduren.
Vor Isabel mochte ich das Meer auch ganz gern. In den ersten fünf Jahren unserer Ehe redete ich mir sogar ein, es zu lieben. Isabel und ich auf den Liparischen Inseln, auf Lanzarote, in Taormina, auf Madeira: Was konnte es Schöneres geben? Warum ich das Meer am Ende hasste, weiß ich nicht genau. Vielleicht lag es daran, dass ich mich betrogen fühlte. Wenn Isabel mit mir am Meer war, liebte sie mich ungestüm und halbverloren, wann immer ihr danach war; kein Grund zur
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