Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
aus der Nationalgalerie in Oslo?«
»Ja«, sagte ich, »war eine große Geschichte damals. Muss schon zehn Jahre her sein.«
»Exakt«, sagte Maia. »Es war am 12. Februar 1994.«
»Und der Schrei ist kurze Zeit später wieder aufgetaucht.«
»Aufgetaucht würde ich das nicht nennen«, sagte Maia. »Die norwegische Polizei hatte zuerst falsche Spuren verfolgt. Erst als sie Europol einschaltete, kamen die Dinge in Bewegung. Ein Chief Inspector gab sich als europäischer Agent des Getty-Museums in New York aus. Er behauptete, das Museum hätte großes Interesse daran, den Schrei für eine Ausstellung zu haben, und sei bereit, eine Belohnung für die Wiederauffindung zu zahlen. 500000 Pfund.«
»Und sie sind drauf reingefallen?«
»Ein Unterhändler der Diebe nahm Kontakt auf. Bei einem Treffen im Plaza Hotel in Oslo flog die Tarnung beinahe auf, weil dort zur selben Zeit ein Meeting der norwegischen Drogenfahnder stattfand. Der Chief Inspector konnte die Zweifel der Unterhändler aber im letzten Moment zerstreuen. Einer von ihnen, er hieß Ulving, glaube ich, brachte ihn schließlich zu seinem Sommerhaus am Fjord in Åsgårdstrand und holte den Schrei aus dem Keller. Der Chief Inspector musste das Bild binnen Sekunden auf seine Echtheit prüfen. Es gelang ihm, denn er entdeckte weiße Wachsspritzer auf der rechten Unterseite der Leinwand. Munch hatte eine Kerze ausgeblasen, dabei war Wachs auf das Bild gespritzt, dessen Spuren man nicht exakt fälschen konnte.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte ich, und das war nicht gelogen. »Lass mich raten: Dieser geniale Chief Inspector war natürlich niemand Geringerer als dein …« Maia schickte mir einen strengen Blick, und ich schwieg.
»Das war Thomas, ja. Es war nur ein Fall unter vielen. Seine Erfolge nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst waren nicht weniger spektakulär.«
»Gut«, sagte ich, »die Sache mit deinem Vertrauen in ihn wäre also geklärt. Und wie sieht es umgekehrt aus? Er will dir doch nichts über Lohmeier erzählen, obwohl er etwas weiß.«
»Nicht am Telefon«, sagte Maia. »Das heißt aber nicht, dass er mir gar nichts sagen will.«
»Sondern? Was schlägt er dir vor?«
»Er hat mich nach Cambridge eingeladen«, sagte Maia. »Er unterrichtet dort. Ich kann sein Gästezimmer haben und bleiben, so lange ich will.«
Mein Blick verfing sich in den Haaren von Salomea. Eine Grande Dame soll sie gewesen sein, Gastgeberin von geheimnisvollen Salons. Ob sie sich mit Muriel Belcher verstanden hätte? Schließlich war der Colony Room auch eine Art Salon. »Du kriegst zehn Pfund in der Woche, Tochter«, hatte Muriel zu Bacon gesagt, als der Club eröffnet wurde, »und freie Getränke. Du musst dafür nur eines tun: Bring Leute mit, die du magst.«
Der orangefarbene Seidenschal, der von Salomeas Hals bis zum Saum ihres Kleides floss, hatte Ähnlichkeit mit einem Schal, den Ripley manchmal getragen hatte, wenn wir etwas zu feiern hatten. Später dann eher an den Abenden im Filmclub, als einzigen Farbtupfer im alles beherrschenden Schwarz. Ach, Ripley. Ich wünschte, ich könnte sie, lachend über unsere Irrwege, nach all den Monaten endlich wieder in die Arme nehmen, anstatt ihr hinterherzuspionieren wie ein verspießerter betrogener Ehemann.
»Was ist los?«, fragte Maia. »Geht’s dir nicht gut?«
»Doch«, sagte ich.
»Du denkst an Isabel«, sagte Maia.
»Nein«, sagte ich. »Da gibt es nichts mehr zu denken. Sie hat ja jetzt das abenteuerliche Leben, von dem sie immer geträumt hat. An der Seite eines Verbrechers.«
»Das wissen wir doch noch gar nicht«, sagte Maia. »Thomas kennt Lohmeiers Namen, das ist alles. Vielleicht ist er ja bloß ein leidenschaftlicher Sammler. Oder ein Experte, der für Christie’s oder Sotheby’s arbeitet, ganz legal.«
»Und Thomas lockt dich nur nach Cambridge, um dich wiederzusehen.« Was ich ja verstehen konnte, wenn ich Maia so ansah. Ihre honigfarbenen Augen, die vor Geist nur so sprühten. Die schwarzen Locken, unmöglich zu bändigen. Das natürliche Rouge, das ihr die Aufregung auf die Wangen geschminkt hatte.
»Wir werden es nicht herausfinden, wenn ich nicht hinfahre«, sagte Maia und hob ihr Glas.
Drei
Maia würdig zu vertreten, war ein aussichtsloses Vorhaben.
Das Maldoror hatte sich, ich muss es zugeben, seinen bescheidenen Ruhm in der Kunstbuchabteilung erworben. Das Sortiment, eine beeindruckende Mischung aus erlesenen Raritäten, als verschollen geltenden Ausstellungskatalogen und
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