Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
the Head of Lucian Freud von 1967: Die Augenpartie gänzlich verwischt von einem faustgroßen grünen Wirbelsturm, der über das Gesicht raste. Von seinen Ausläufern schüttete es weißen Regen auf Nase und Kinn. Bacon musste das Weiß aus einer gewissen Distanz auf das Bild geschleudert haben, wie bei der Pfeife in George Dyers Rücken. Der Kopf erweckte den Eindruck, als sei er mit einer einzigen Pinselbewegung erst geschaffen und dann zerstört worden. Oder das Portrait Lucian Freud 1965. Ein gespenstischer schwarzer Hundertfüßler kroch vom Haaransatz auf die Nasenwurzel zu; die Stirnpartien glühten in einem fiebrigen Rot, die Nase sackte wie eine bleischwere Last auf die Lippen, um sie zu zerquetschen. Vom rechten Ohr bis an die Kinnspitze verlief ein weißer Pfeil, der die Richtung anzeigte, in der man dem Opfer den Hals umdrehen konnte.
»Was ist wahre Freundschaft anderes«, sagte Bacon, »als zwei Menschen, die einander in Stücke reißen.«
Im zweiten Band entdeckte ich das große Triptychon von 1973: Three Portraits : Posthumous Portrait of George Dyer, Self-Portrait, Portrait of Lucian Freud . Ich erinnerte mich vage, es in Wien und Basel gesehen zu haben. Die drei Porträtierten saßen auf Stühlen, links Dyer, in der Mitte Bacon, rechts Freud. Frappierend war, dass bei den Außentafeln jeweils noch ein zusätzliches schwarzweißes Bild an der Rückwand des Zimmers befestigt war. Hinter George Dyer hing eine Skizze von Bacon, hinter Lucian Freud eine von Dyer. Selbst in der Reproduktion war die Tiefenwirkung, die so entstand, überwältigend. Und der feine Witz: Hinter Bacon selbst hing kein weiteres Bild; dafür hielt der Maler eine Art Lorgnon oder Opernglas an die Augen; auf seinem Arm prangte eine stattliche Uhr. Wie Bacon hier mit spielerischen Accessoires die Herrschaft des Malers über den Blick, über Raum und Zeit, gleichzeitig behauptete und ad absurdum führte, ließ mich sofort an das markerschütternde Gelächter denken, das ich so oft von ihm gehört hatte – auf Videodokumenten aus dem Colony Room oder dem Wheeler’s .
In einem Punkt hatte ich mich nicht getäuscht: Nach 1973 gab es kein Bild Bacons mehr, auf dem Lucian Freud zu sehen war. Zumindest fand sich in den beiden Bänden keinerlei Hinweis darauf. Enttäuschend die Angaben zu den Besitzern in den Abbildungsverzeichnissen: Zu allen Freud-Porträts hieß es schlicht »Privatsammlung«.
Mein Mobiltelefon piepste. Abfälliger Blick des Barkeepers. »Mir ist noch was eingefallen.« Maia.
»Du fandest ihn doch widerlich«, sagte ich.
»Nein. Hör zu. Ich versuch dir zu helfen, aber es ist ein wenig heikel.«
»Ich bin gespannt.«
»Arthur, du vermutest doch, dass mit Lohmeier etwas nicht stimmt.«
»Natürlich. Wie kann er mit meiner Frau …«
»Darum geht es jetzt nicht. Du vermutest doch, an uns bringen könnte auch bedeuten: stehlen .«
Diesen Verdacht aus Maias Mund zu hören, beglückte mich. Nicht nur ich selbst in meiner missgünstigen Sichtweise war darauf gekommen. Wenn Maia das so deutlich aussprach, wurde es von einem Hirngespinst zu einer objektiven Tatsache. Der Mann war praktisch schon überführt.
»Ja«, sagte ich und vergaß nicht, eine effektvolle Pause zu setzen. »Das vermute ich.«
»Gut«, sagte Maia. »Ich habe da einen Freund …«
»Ach«, sagte ich, »das wusste ich gar nicht.«
»Er heißt Thomas Watt«, sagte Maia unbeirrt, »ein Engländer. Ich kenne ihn seit fünf Jahren. Er hielt einen Vortrag an der Uni Wien, da hab ich ihn kennengelernt.«
»Ein Kunsthistoriker?«
»Auch«, sagte Maia. »Aber nicht nur.«
Maia stockte. Auszusprechen, was jetzt kam, kostete sie einige Überwindung.
»Er war Mitglied der Metropolitan Police . Abteilung Arts and Antiques. «
»Scotland Yard?«
»Scotland Yard.«
Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Pintglas. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet.
»Bist du noch dran?«, fragte Maia.
»Ich hoffe schon.«
»Thomas hat mittlerweile den Polizeidienst quittiert. Er arbeitet für Museen und private Sammler. Wenn irgendwo in der Welt ein Bild gestohlen wird, wenden sich die Leute an ihn. Er darf natürlich keine Informationen an Dritte weitergeben. Aber er ist ein guter Freund. Ich könnte ihn fragen.«
»Fragen?« Ich war ein wenig verwirrt.
»Ob er den Namen Viktor Lohmeier schon mal gehört hat.«
Ich hatte das Gefühl, dass Maia am anderen Ende der Leitung glühte. Etwas hatte sie erfasst. Ein Fieber, das ich noch nie an ihr bemerkt
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