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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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mich besucht hast. Vor über zwanzig Jahren. Wir waren beide in die Kellnerin verliebt. Das wirst du doch nicht vergessen haben.«
    »Und du hast sie erobert«, sagte ich. Es war mehr ein Reflex als eine Erinnerung.
    »Keiner hat sie erobert«, sagte Sebastian und lachte. »Zumindest keiner von uns beiden. Deshalb konnten wir ja so einträchtig in unsere Gläser heulen und dem Gott der Schwermut unsere Opfer bringen.«
    Ein Schemen tauchte auf, aus der hintersten Zone meiner Gedächtnisschichten. Ein hochgeschossenes Mädchen, dürr, mit einem Lächeln, dem höchstens ein Toter widerstehen konnte. Schwarze Haarflammen züngelten um ihr Gesicht, nein: um ihr Antlitz. Ihre riesigen Augen schwammen auf dicken Kajalstrichen. Brian Eno sang »I’ll come running to tie your shoes«, Sebastian sang mit und sandte ihr dabei feurige Blicke. »Dass du dich nur nicht übernimmst«, sagte sie lachend und stellte zwei Gläser Tequila vor uns auf den Tisch.
    »Michaela«, sagte ich.
    »Manuela«, sagte Sebastian. »Du wirst alt, Arthur.«
    Er öffnete die Tür des Restaurants und deutete mir, voranzugehen. Der Wirt begrüßte ihn überschwänglich und wies uns einen Tisch zu, auf dem schon eine Kerze brannte.
    »Du kommst oft hierher, nehme ich an.«
    »Ja«, lachte Sebastian, »aber selten mit verheirateten Männern.«
    »Ich bin nicht mehr verheiratet«, sagte ich. Es war mir rascher über die Lippen gekommen, als mir lieb war. Sebastian klappte den Mund auf und starrte mich an. Damit hatte er nicht gerechnet.
    »Du und Isabel …«, stammelte er, »ihr seid nicht mehr … das gibt’s doch nicht.«
    »Sie ist gegangen«, sagte ich und spürte, wie das Wasser in mir hochstieg. Es war mir peinlich, ich kämpfte dagegen an, aber schon stand es mir in den Augen.
    Sebastian tätschelte meine Hand, als säße ein kleines Mädchen vor ihm, dessen goldener Ball in den Brunnen gefallen war.
    »Ich hätte dich anrufen sollen«, sagte ich.
    »Nein, ich hätte dich anrufen sollen. Ich hab ja gespürt, dass etwas nicht stimmt. Also: Was ist passiert?«

 
    Vier
     
    »Bacon«, sagte Sebastian. »O ja. Ich hatte auch einmal eine Phase, in der ich hingerissen war von seinen Bildern. Bin sogar nach München gefahren, um mir die große Ausstellung im Haus der Kunst anzuschauen. Muss zehn Jahre her sein.«
    »Sieben«, sagte ich und bereute sofort meinen schulmeisterlichen Tonfall.
    »Na gut, dann sieben«, lachte Sebastian. »Du bist hier der Experte. Meine Begeisterung verflog jedenfalls rasch, als ich Interviews mit ihm las. Ich konnte es kaum fassen, aber derselbe Mann, der diese erschütternden Körper und Gesichter geschaffen hatte, war ein übler Reaktionär.«
    »Dieses Wort hab ich schon lange nicht mehr gehört«, sagte ich.
    »Erschütternd?«
    »Reaktionär.«
    »Das spricht nicht für dich. Außerdem lenkst du ab.«
    »Er wählte die Tories«, sagte ich, »obwohl sie ihn verachteten. Sehr irritierend, das muss ich zugeben.«
    »Nicht nur das«, sagte Sebastian. Seine dichten Augenbrauen, seine kühne Frisur und seine große Nase erinnerten mich nicht zum ersten Mal an Gérard Depardieu in Andrzej Wajdas Danton . »Er hielt die Linke für den Quell allen Übels. Idealisten mit gespaltener Zunge. Seinen Pariser Freunden warf er allen Ernstes vor, dass sie nicht all ihr Hab und Gut den Armen spendeten.«
    »Während er selbst seine Freunde unterstützte, wo es nur ging«, entgegnete ich. »Vor allem, wenn sie gesundheitlich in Not gerieten. Er kam für ihre Krankenhausaufenthalte, Operationen und Kuren auf. John Deakin hat er sogar ein Nobelhotel in Brighton bezahlt, damit er sich von seiner Lungenoperation erholen konnte.«
    »Mag ja sein«, sagte Sebastian. »Aber wann immer er sich politisch äußerte, lief es auf das Gleiche hinaus: Der Sozialstaat ist pervers, Gerechtigkeit für alle hat nur Langeweile und Verfall zur Folge, und wo immer der Staat ausgleichend eingreift, verödet die Kunst. Eine Gesellschaft, die das höchstmögliche Glück für die größtmögliche Zahl ihrer Mitglieder anstrebt, zerstört das kreative Potenzial der Menschen. Und so weiter. Er wurde gefragt, ob ihn das Leiden jener Leute, die aufgrund sozialer Ungerechtigkeiten vor die Hunde gehen, nicht verstöre. Weißt du, was er geantwortet hat?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Genau!«, sagte Sebastian.
    Der Wirt räumte die Teller und Schüsseln ab, die sich vor uns aufgetürmt hatten. Ich holte Luft für ein neues Plädoyer.
    »Aber so einfach ist es nicht. Er

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