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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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war doch auch ein glühender Atheist, alles Metaphysische war ihm zuwider, Heuchelei ein Greuel …«
    »Das schon«, sagte Sebastian. »Für ihn waren Menschen nicht mehr als Fleischklumpen, in eine sinnlose Welt geworfen.«
    »Das macht ihn doch sympathisch«, sagte ich. »Sich beim Fleischhauer immer wieder zu wundern, dass man nicht selbst als halbiertes Schwein am Haken hängt: Das nenne ich wahre Größe.«
    »Aber er zieht die falschen Schlüsse«, sagte Sebastian. »Wenn wir erkennen, dass wir nichts anderes sind als todgeweihtes Fleisch, was ist die Konsequenz? Wir müssen uns umeinander kümmern. Die Stärkeren beschützen die Schwächeren.«
    »Mitleid«, sagte ich, »darauf willst du also hinaus. Ich dachte, du kannst die Christen nicht ausstehen.«
    »In diesem Punkt bin ich kompromissbereit«, sagte Sebastian. »Die Caritas ist mir immer noch lieber als dein Sozialdarwinist.«
    »Ein wenig kühn, ihm dieses Etikett aufzukleben, findest du nicht?«
    »Warum? In Bacons Szenario bleibt der Schwache auf dem Schlachtfeld zurück. Wer nicht die Kraft hat, sich in einer grausamen und gewalttätigen Welt durchzusetzen, hat eben Pech gehabt.«
    »In seiner Malerei ist davon aber nichts zu sehen«, sagte ich. »Ganz im Gegenteil. Seine gehäuteten Leiber und Köpfe zerreißen einem das Herz.«
    »Seine Bilder sind eben klüger als er.« Sebastian lächelte und lehnte sich zurück. Beweisführung abgeschlossen. Aber ich gab noch nicht auf.
    »Vielleicht war es wegen George«, sagte ich. »Er hatte in sein Leben eingegriffen und hatte es zerstört. Seit Dyers Selbstmord war Bacon davon überzeugt, dass jeder Eingriff in ein fremdes Leben nur Unheil anrichten konnte.«
    »Noch so ein falscher Schluss«, sagte Sebastian.
    »Er wollte George aus dem Dreck ziehen«, sagte ich. »Er fand, das Leben sei zu kurz, um die Hälfte davon im Gefängnis zu verbringen. George sollte einen Beruf erlernen, und Bacon hatte auch eine wunderbare Idee. Du weißt sicher, was ich meine.«
    »Keine Ahnung«, sagte Sebastian.
    »Er brachte ihn zu seinem Rahmenbauer. George hatte geschickte Hände. Er sollte vergolden lernen.«
    »Tatsächlich?«, fragte Sebastian und zog eine Braue hoch. »Ich nehme an, es hat ihm nicht …«
    In diesem Moment flog die Tür auf, und ein Pärchen rauschte herein. Der Mann mochte um die vierzig sein, ein Hüne, elegant gekleidet, mit schwarzem Künstlerschal; an seinem Arm hing eine junge Frau in einem erstaunlich kurzen anthrazitfarbenen Kleid. Unter ihrem hochgesteckten roten Haar leuchteten grüne Augen, die sofort Sebastian erspähten. Sie erschrak und wandte sich ab. Sebastian hatte mitten im Satz innegehalten; die Geste, zu der er gerade angesetzt hatte, war in der Luft hängen geblieben. Eine zarte Röte lief ihm übers Gesicht, vom Hals bis zu den Haarwurzeln.
    Der Chef des Hauses wurde hingegen aschfahl im Gesicht, als er bemerkte, wer da gekommen war. Er stürzte mit ausgebreiteten Armen auf das Paar zu, postierte sich zwischen dem Eingang und unserem Tisch und deutete in die andere Ecke des Restaurants. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Als das Manöver beinahe erfolgreich abgeschlossen war und wir nur noch die Rücken der beiden sahen, drehte sich die Frau mit einem Ruck um. Offensichtlich hatte sie befunden, dass das Versteckspiel ihrer nicht würdig sei. Sie ging auf Sebastian zu und zog den Mann hinter sich her.
    »Hallo Sebastian«, sagte sie.
    »Ja, hallo, Doris, hallo«, stammelte Sebastian.
    »Darf ich vorstellen? Mein Mann Alexej. Und das ist Sebastian Sartorius, ein Patient von mir.«
    Sebastians Finger gaben ein leises Knacken von sich, als der Riese ihm die Hand drückte. Das Vorstellungsritual wurde fortgesetzt, bis jeder von uns mindestens einmal »sehr erfreut« gesagt hatte. Dann zog sich das Paar zurück.
    »Du bist ihr Patient?«, fragte ich erstaunt, als die beiden außer Hörweite waren. »Was fehlt dir denn?«
    »Sie ist meine Zahnärztin«, sagte Sebastian.
    Der Wirt zwinkerte Sebastian von der Theke aus zu und machte eine Handbewegung, als wolle er sich literweise Schweiß von der Stirn wischen und durch Schütteln im Raum verteilen. Er füllte zwei Gläser randvoll mit Schnaps und brachte sie uns.
    »Mango«, sagte er. »Gut fürs Herz.«
     
    »Und wie geht es jetzt mit Isabel weiter?«, fragte Sebastian. »Was gedenkst du zu unternehmen?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich. »Ich könnte alles auf sich beruhen lassen. Aber dafür ist es wahrscheinlich

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