Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Neuerscheinungen aus winzigen Verlagen, bei denen ich nicht einmal das Herkunftsland auf dem Globus gefunden hätte, war weit mehr dazu angetan, einen Kundenstock aufzubauen, als mein Faible für Erstausgaben, die ich noch dazu, hatte ich sie einmal erbeutet, nur ungern wieder aus der Hand gab. In meine Abteilung verirrten sich meist interessierte, gebildete, nicht ganz nach dem letzten Schrei gekleidete Menschen, die Isabel »deine Freaks« genannt hatte, und deren Begeisterung für Bleisatz, Büttenpapier oder Ossip Mandelstam in ungünstigem Verhältnis zu ihrer Kaufkraft stand. Bei Maia hingegen tummelten sich zuweilen Gestalten, die man eher in der Londoner City als in der Margaretenstraße erwartet hätte. Es war durchaus denkbar, dass Lohmeier nicht aus zwielichtigen Gründen Kunde des Maldoror war, sondern einfach deshalb, weil er manche Bände selbst in Hamburg entweder gar nicht oder erst mit einiger Verspätung hätte finden können.
So stand ich also tagelang mit der Effizienz einer Schaufensterpuppe zwischen unseren Kunstbänden herum und war den Kunden mehr Hindernis als Hilfe.
Am vierten Tag von Maias Abwesenheit – sie hatte noch nicht einmal angerufen – beschloss ich, Sebastian zu besuchen. Seit meiner Scheidung hatte ich mich nicht mehr bei ihm gemeldet. Aber das war nichts Ungewöhnliches; wir kannten uns seit dreißig Jahren, und ein Treffen pro Jahr erschien uns schon wie eine Bestätigung unserer Unzertrennlichkeit. Wir hatten uns in einer studentischen Splittergruppe kennengelernt, die sich von den Trotzkisten abgespalten hatte. Kurze Zeit später verließ uns ein Teil der Gruppe, um die Maoisten von innen zu unterwandern, oder so ähnlich, und wir waren endlich unter uns. Obwohl wir uns redlich bemühten, in der Studienrichtungsvertretung ernsthafte Arbeit zu leisten, traute ich unserem Rebellentum nie ganz über den Weg und unterstellte auch Sebastian, er gäbe den Garibaldi nur, um die Studentinnen zu beeindrucken. Doch nach etwa zwei Jahren machte er plötzlich Ernst. Er traf zwei Entscheidungen, die mir absurd erschienen. Er brach sein Studium ab, um ein Handwerk zu erlernen. Und er zog von Wien nach Linz, in die Stadt der Proletarier.
Sein Dandytum war seiner Karriere als Arbeiterführer allerdings stets im Wege. In Hosen aus feinem Tuch und schrillen Sakkos Flugblätter vor Fabrikstoren zu verteilen, war ein Unterfangen, das seine Tücken hatte.
Schließlich wurde er Restaurator und Vergolder; ich hegte den Verdacht, dass allein der Klang der Wörter ihn dazu verleitet hatte. Sebastian Sartorius , Vergolder stand auf seinen Visitenkarten. Er besaß zwei Varianten, eine schlichte und eine geschmacklose. »Eine apollinische und eine dionysische«, sagte Sebastian. Auf Ersterer war nur der Schriftzug zu sehen, in schwarzen Lettern auf naturweißem Karton. Die andere war lindgrün; links oben reckte eine Michelangelo-Figur ihre Faust gen Himmel, rechts unten leuchtete ein fünfzackiger Stern mit goldener Silhouette. Er pflegte sie Frauen aus allen Gesellschaftsschichten und zu allen Anlässen zuzustecken, und ich war immer wieder überrascht, wie genau Sebastian wusste, welche Karte zu welcher Angebeteten passte.
Es war mir dann doch recht bang zumute, als ich seine Nummer wählte.
»Arthur«, rief er, als hätte ich ihn bloß fünf Minuten warten lassen, »wo bleibst du denn?«
Wir trafen uns vor dem Eingang des Volksgartens und spazierten in Richtung Hauptplatz.
Von der Landstraße bogen wir nach rechts ab. Die Seitenstraße kam mir bekannt vor.
»Wo führst du mich hin?«, fragte ich.
»Ins Bombay Palace «, sagte Sebastian.
»Nein«, sagte ich erschreckt. Vor meinem inneren Auge flirrten Bilder von Bernadettes Staubgespenstern. Ich saß über den Elefantenaschenbecher gebeugt und musterte Gandhis Nase. Da war plötzlich dieses Geräusch, ein Schlüssel, der sich im Schloss drehte, Bernadette kam nach Hause, ohne Argwohn im Herzen, ich sah sie im Türrahmen stehen, sie trug einen bunten Sari. Als sie mich inmitten der Rauchschwaden entdeckt, lässt sie vor Schreck ihre Reisetasche fallen und stößt einen Schrei aus, der ansatzlos in einen Hustenanfall übergeht …
»Du erinnerst dich«, sagte Sebastian und grinste.
»Ja«, sagte ich schwach.
»Was waren das für Nächte!«, sagte Sebastian.
»Nächte?«, fragte ich verwirrt.
»Ja, Nächte«, sagte Sebastian. »Hier war früher das Elektro-Schmid . Die Keimzelle der Subversion. Wir gingen jedes Mal hin, wenn du
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