Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
waren nur meine Nerven. Ich hatte eine unruhige Nacht hinter mir, mit flattrigen Erscheinungen eines grüngefiederten Falken, der sich zutraulich auf einem Ast niederließ, nicht ahnend, dass dieser Ast die Klaue eines gewaltigen Aasgeiers war, der sich ausschließlich von naiven Falkenweibchen ernährte, und ich, ich wollte das arme Tier retten, ich rief und schrie, aber das Vögelchen hörte mich nicht. Ich war doch der Besitzer der Falknerei, ich hatte doch die geiersichere Voliere erfunden; wie dieses Loch, durch das das schwarze Riesenvieh eingedrungen war, da hoch oben in den Maschendraht gekommen war, konnte ich mir nicht erklären. Ich musste dort hinauf, das Dach wieder flicken, und ich begann zu klettern, aber bevor ich oben war, fing der gefangene Vogel an zu singen, ja, er sang, während er von dem Geier verspeist wurde … Dinge in der Art. Am Ende hatte ich die Träume mit einem Zehner-Valium niedergestreckt, ein Sieg mit herben Verlusten, wie sich beim Läuten des Weckers herausstellte.
Versuchte mich wieder auf die Bilder zu konzentrieren. Der schwarze Punkt auf der Wange des Mädchens. Der Schatten, den die herabhängende rechte Brust auf die Rippen warf, exakt gemalt und doch wie ein Tier mit eigenem Leben, ein Tier mit rüsselförmiger Schnauze, ein Tapir. Die feine braune Linie auf ihrem Bauch: auf den ersten Blick war sie die Randlinie eines naturgetreu nachgebildeten Schattens, aber sie konnte auch eine Sprengschnur sein, von der Hüfte aus in Brand gesetzt; die Sekunden tickten, während ich hier ahnungslos im Saal 26 der Tate Britain stand, und gleich würde der Sprengsatz im Nabel hochgehen. Und das entzweigeschnittene Ei in der Schale, die schon zur Hälfte in der Luft hing: Es war ein prekäres Gleichgewicht, das die Schale gerade noch nicht kippen ließ, aber sie bewegte sich auf den Rand des Tischchens zu, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie abstürzen würde.
Daneben das Elmsfeuer in den Haaren von Isabel, der weiße Fisch, der auf ihr geblähtes rotes Nasenloch zuschwamm, doch dieses Nasenloch war nicht menschlich, es war eine Höhle, in der die Ungeheuer sich trafen, um sich gegen die Brut der Zweibeiner zusammenzurotten, oder auch nur, um die kurze Zeit ihrer Herrschaft unbeschadet zu überdauern.
Sie mussten nebeneinander hängen, diese Bilder. Es ging nicht anders. Es war nicht einfach die Wahl eines Kurators. Bacon und Freud, sie mussten es selbst ausgeheckt haben, am Ende einer langen Nacht, im Casino oder im French Pub , als kleine Verschwörung gegen die Dekorativen, die Hersteller von alten Spitzendeckchen, wie Bacon sie nannte.
Ich ging ein paar Schritte zurück und versuchte meinen Blick in die Ecke zwischen den Bildern zu richten, sodass ich beide zugleich in meinem Gesichtsfeld hatte, wenn auch nur verschwommen. Was verband sie, diese so gänzlich verschiedenen Maler? Ein Halbsatz aus einem von Maias Büchern geisterte mir durch den Kopf. »Erbarmen mit dem Fleisch.« Vielleicht war es das.
Diese Grübeleien halfen mir allerdings nicht weiter. Ich hätte noch stundenlang in diesem Saal meine Kreise ziehen können, ich wäre dennoch nicht einen einzigen Schritt vorangekommen.
Meine einzige Hoffnung war Maias Freund. Falls er wirklich so informiert war, wie sie behauptet hatte.
Ich ging vor das Gebäude, setzte mich auf die Steintreppe und wählte Maias Nummer. Eigentlich wollte ich ja warten, bis Maia sich meldete. Leider hielt ich nicht durch.
»Hast du ihn erreicht, deinen Thomas?«
»Erstens«, sagte Maia, »ist er nicht mein Thomas. Und zweitens: ja, hab ich.«
»Und«, fragte ich etwas zu forsch, »was hat er dir erzählt?«
»Er hat gesagt, er freue sich sehr, meine Stimme wiederzuhören.«
»So? Hat er das? Wie schön für dich. War das alles?«
»Nein.« Maia schien die Pause zu genießen. Kleine Revanche.
»Der Name Viktor Lohmeier ist ihm bekannt.«
Ich atmete tief durch. Ob aus Erleichterung oder Bestürzung, war mir selbst nicht ganz klar.
»Was weiß er über ihn?«
»Er weiß, dass es ihn gibt. Mehr will er am Telefon nicht verraten.«
»Und jetzt?«
»Ich schlage vor, du kommst so schnell wie möglich zurück nach Wien.«
Zwei
»Wie sehr vertraust du ihm?«, fragte ich.
Wir saßen im Café Engländer , am Tisch unter dem Porträt der legendären Gründerin Salomea Engländer; es war noch keine zwei Stunden her, dass ich in Wien gelandet war.
»Erinnerst du dich«, fragte Maia, »an den Raub des Schreis von Edvard Munch
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