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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Manuela musste uns längst vergessen haben. Sie sah auf dem Video allerdings immer noch so aus wie zu der Zeit, als wir sie angebetet hatten. Da sie uns beide verschmäht hatte, war unsere kleine Dreiergemeinschaft nicht ins Trudeln geraten. Erst als sie sich in einen Mann verliebte, den wir hassten, wandten wir uns gekränkt von ihr ab. Der Mann war Schmuckdesigner, und seither rangierte dieser Beruf ganz unten auf unserer Wertschätzungsskala. Wir hätten allerdings ohnehin jeden Mann gehasst, in den sie sich verliebt hätte.
    Der Song war nicht übel; klang wie eine Mischung aus Skunk Anansie und den Walkabouts. Manuelas Stimme war beinahe so überzeugend wie ihr Lächeln, die Musiker verstanden ihr Handwerk, und die Lyrics waren erstaunlich klischeefrei.
    Beim Weitersurfen entzogen mir die Schicksalsgöttinnen ihr Wohlwollen, und ich landete bei Iggy Pop. Musste nur ein paar Riffs hören, schon packte mich eine rabiate Wehmut. Für mich war Iggy bis in alle Ewigkeit verknüpft mit dem ersten Sommer mit Isabel. Iggy Pop Live at The Channel , das hatte sie mir auf der Veranda über dem See vorgespielt. Irgendwo in meiner Wohnung musste diese Platte noch zu finden sein. Ich konnte sie mir jederzeit anhören.
    Versuchte diesen selbstquälerischen Gedanken zu bekämpfen, öffnete die zweite Flasche Barbera, lehnte mich über die Brüstung und sah den Kindern auf dem Kühnplatz beim Spielen zu. Ein Mädchen malte mit blauer Kreide ein Himmel-und-Hölle-Spiel auf den Boden. Als sie fertig war, betrachtete sie stolz ihr Werk, hob den Kopf, sah mich auf dem Balkon stehen und winkte mir zu. Ich winkte lächelnd zurück, ich war dankbar, dass ich ihr Zuschauer sein durfte. Das Betrachten einer zutiefst sinnvollen Handlung sollte mich davon abhalten, eine Dummheit zu begehen.
    Aber es half alles nichts. Die Versuchung war zu groß. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Schon rutschte ich auf Knien durch die Wohnung und durchsuchte meine Vinylbestände. Als ich die Platte fand, überfiel mich der Schmerz um Isabel, als wäre ich erst vor ein paar Stunden verlassen worden. Die Auswahl der richtigen Nummer war jetzt entscheidend. Ich drehte das Doppelalbum um und sah nur winzige rätselhafte Zeichen.
    Das Gefühl der Vergänglichkeit, das einen beschleicht, wenn man sich die Lesebrille aufsetzen muss, um den richtigen Take auf einer Platte von Iggy Pop zu finden, ist niederschmetternd. Selbst die Tatsache, dass der Meister selbst mittlerweile in die Jahre gekommen ist, spendet nur wenig Trost. Gewisse Insignien der Hinfälligkeit würden ihn niemals verunzieren. Iggy Pop würde sich eher den rechten Arm abhacken, als eine Lesebrille aufzusetzen.
    Endlich fand ich den richtigen Song. Er wurde meinen momentanen Gefühlen zu Isabel auf wunderbare Weise gerecht. Ich verrückte die Boxen so, dass ich die Musik auf dem Balkon gut hören konnte. Drehte den Lautstärkeregler auf Fünf und ließ die Nadel in die Rille gleiten. »Your pretty face is going to hell«, sang Iggy, ich sang es laut mit, ich schickte es Isabel hinterher, ihrem aalglatten neuen Lover, dem Verbrecher mit dem unwiderstehlichen Charme, in einer Gefühlsaufwallung, die nicht sehr erwachsen war, »your pretty face is going to hell«, sang ich, »honey honey I can tell«, auf dem Nachbarbalkon sah ich ein flackerndes Licht, ich machte mich schon bereit für eine Beschimpfung wegen Ruhestörung, aber mein Nachbar hatte nur eine Kerze angezündet und auf sein Balkontischchen gestellt, schönes Lied, sagte er, und ich bildete mir ein, den Schatten eines Flügels über die Brüstung huschen zu sehen, von seiner Brüstung herüber auf meine, einen wandernden Flügelschatten, schönes Lied, sagte mein Nachbar noch einmal, schön und unendlich tröstlich.
     
     
    Als Maia am nächsten Morgen anrief, war ich noch nicht ganz Herr der Lage.
    »Ich komme heute Nachmittag zurück«, sagte sie.
    »Endlich«, entfuhr es mir.
    »Du wirst mich doch nicht vermisst haben«, sagte Maia.
    »Was hast du so lange gemacht? Du wolltest doch nach drei Tagen zurück sein?«
    »Ich hab mich von Thomas in einem kleinen Holzboot über den River Cam schippern lassen. Das Original von Winnie-the-Pooh in der Hand gehabt. Und ich habe Francis Bacon ans Knie gefasst.«
    »Wie bitte?«
    »Er steht da herum. Im Trinity College.«
    »Du meinst den Philosophen. Eine Statue.«
    »Ja, klar«, lachte Maia. » Was hast du denn gedacht?«

 
    Sechs
     
    »Schade, dass du nicht mitgekommen bist, Arthur.

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