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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Fischereihafen Restaurants . Ab Övelgönne wurde die Elbe breiter. Sie roch schon nach Meer. Am Hans-Leip-Ufer waren die Liegestühle besetzt wie an einem Hochsommertag; einige Tollkühne tummelten sich bereits im Wasser. Wir verließen die Fähre in Finkenwerder und nahmen das Schiff nach Teufelsbrück. Gleich hinter dem Landungssteg erstreckte sich ein Sandstrand. An der Haltestelle des Busses nach Nienstedten standen Menschen in kurzen Hosen und dünnen Sommerkleidern. Ein Hauch von Kokosöl stieg mir in die Nase.
    Beim Blick aus den Busfenstern erahnte man den Reichtum dieser Gegend. Eine Prunkvilla reihte sich an die nächste. Die Nienstedtener Kirche lag direkt an der Elbchaussee.
    Womit ich nicht gerechnet hatte, war die Größe des Friedhofs. Mein Plan, alle Gräberreihen systematisch abzusuchen, hätte einen ganzen Tag in Anspruch genommen. Nach einer Stunde sah ich tanzende Grabsteine und durcheinanderstiebende goldene Buchstaben, wenn ich die Augen schloss.
    Die Rettung nahte in Gestalt eines Friedhofswärters, der eine Fantasieuniform trug und zwei Gießkannen mit sich herumschleppte. Sein Blick war auf den Boden gerichtet; beinahe wäre er mit mir zusammengestoßen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Wir suchen das Grab von Hans Henny Jahnn.«
    »Nie gehört«, sagte der Friedhofswärter und entfernte sich.
    »Das war’s dann wohl«, sagte Maia.
    »Ich fürchte auch«, sagte ich. »Aber lass uns doch wenigstens das Wohnhaus besuchen.«
     
    Der Hirschpark war von einem dänischen Gärtner im englischen Stil angelegt worden. Auf weiten Wiesenflächen grasten Damhirsche; Pfauen stießen markerschütternde Schreie aus. Gelbe, purpurrote und weiße Blüten wucherten wild durcheinander. Die beherrschende Farbe war aber auch hier das in Hamburgs Gärten allgegenwärtige Violett. Ein wenig versteckt zwischen Bäumen und meterhohen Sträuchern lag das reetgedeckte Witthüs , ein ehemaliges Kavalierhaus, das nun seit dreißig Jahren ein Café und Restaurant war. Neben dem Eingang hingen eine Maskenskulptur und ein Gedenkstein: Hier lebte Hans Henny Jahnn, Dichter, Orgelbauer, Forscher. *1894, †1959.
    Jahnn hatte das weiße Haus nach seiner Übersiedlung von Bornholm 1950 erworben und bis zu seinem Tod darin gelebt. Die Gerüchte um seinen gottlosen und verruchten Lebensstil trieben immer wieder Neugierige in den Garten; manchmal kam es vor, dass ein Fenster aufflog und eine mächtige Stimme ertönte: »Ich bin kein Museum!«
    Wir spazierten auf die Terrasse und setzten uns an einen Tisch unter zwei gewaltigen Linden mit ineinandergreifenden Ästen. Ein Kleiber hüpfte aufgeregt zwischen den Stämmen hin und her. Zwei weißhaarige Damen tranken Tee; die übrigen Campingstühlchen waren unbesetzt. Maia studierte die Karte, lachte kurz auf und bestellte dann Russischen Rauchtee mit Rumkirschen und eine Qualle auf Sand .
    »Betörend, wie es hier nach Frühling duftet«, sagte sie, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und streckte die Beine aus.
    »Es ist fürchterlich«, sagte ich.
    »Wie bitte?«
    »Sagt Hans Henny Jahnn. Warte, lass mich kurz nachdenken. Und während sich das meinem Auge Wunderbare vollzieht, vermehren sich die Raubzüge aller Lebewesen gegen den Schwächeren, der gefressen wird. So dampft der Schmerz in den Duft des Frühlings hinein. Die warmen Ströme der Luft schmecken fade. Es ist, wie es ist. Und es ist fürchterlich .«
    »Das passt zu dir«, sagte Maia ernst. Die Kellnerin brachte uns den Tee. Meiner war nur ein schlichter Earl Grey.
    »Wir hatten doch einmal eine Erstausgabe von Fluß ohne Ufer   «, sagte Maia und steckte sich eine Rumkirsche in den Mund. »Wo ist die eigentlich hingekommen?«
    »Steht bei mir zu Hause im Regal«, sagte ich.
    Aus Maias Blick war deutlich zu lesen, dass ihr diese Antwort nicht genügte.
    »Ich musste sie in Sicherheit bringen«, sagte ich. » Jemand wollte sie kaufen.«
    Maia schwieg. Die Andeutung eines Kopfschüttelns war ihre einzige Reaktion. Ein Windstoß fegte die Papierservietten vom Tisch.
    »Glaubst du«, fragte sie schließlich, »Lohmeier hält das Bild für echt?«
    »Wenn er der Experte ist, der er vorgibt zu sein, dann sicher nicht lange.«
    »Aber wenn er von Bacons Vorliebe für die unpräparierte Seite der Leinwand nichts weiß? Oder das Bild gar nicht aus dem Rahmen nimmt?«
    »Die Vorstellung, dass er stolz und andächtig in seinem Keller vor einer Fälschung sitzt, hat was Verlockendes. Aber ich glaube nicht recht

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