Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
unpräpariert sein. Ich hatte mich geirrt.
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Maia. »Fing er nicht in Monte Carlo damit an, nachdem er im Casino ein Vermögen verspielt hatte?«
»Ja, stimmt«, sagte ich. Mein Interesse an Bildoberflächen hatte sich in Luft aufgelöst. Maia kniete sich vor das Bild und begann die Nägel, mit denen die Leinwand am Keilrahmen befestigt war, mit der Zange herauszulösen. Nachdem sie den oberen Saum abziehen konnte, hielt sie inne. Unbeweglich saß sie da und starrte auf das Gewebe in ihrer Hand.
»Erstaunlich«, sagte sie endlich. Ich hockte mich neben sie auf den Boden. »Hier«, sagte sie, »siehst du, wie die Leinwand bearbeitet worden ist. Zuerst mit Leim. Sieht nach teurem Leim aus. Vielleicht sogar Hausenleim. Zumindest aber Schwimmblasenleim, von welchem Fisch auch immer. Sicher kein Knochenleim. Der Halbkreidegrund, der dann darüber aufgetragen worden ist, hält perfekt. Also: Hinterseite grundiert, Vorderseite rauh und griffig, wie es sich für ein Bacon-Original gehört.«
»Ich weiß schon, dass ich mich getäuscht habe.«
»Nicht ganz.« Sie zupfte am Saum der Leinwand herum, versuchte mit beiden Daumen in einen Zwischenraum zu gelangen. Es funktionierte. Etwas kam zum Vorschein. Eine dunklere Stelle.
»Nicht eine Leinwand«, sagte Maia, » zwei Leinwände. Hier an diesem schmalen Streifen siehst du den unbearbeiteten Hintergrund des Porträts. Die Farben wurden tatsächlich auf die grundierte Seite aufgetragen. Um das zu kaschieren, hat jemand eine zweite Leinwand appliziert. Sie wurde mit Leim an die erste geklebt. Rückseite an Rückseite. Wahrscheinlich mit einem Bügeleisen nachbearbeitet. Dann die Kanten exakt abgeschnitten. Fertig.«
»Der Fälscher hat seinen eigenen Fehler korrigiert?«
»Wohl kaum.«
»Ribbeck?«
»Auch nicht«, sagte Maia. »Der Betrug ist nur dann sinnvoll, wenn man das Bild weiterverkaufen will. Ribbeck verkaufte niemals ein Bild.«
»Also ein Vorbesitzer?«
»Gut möglich. Ribbeck könnte selbst auch auf den Trick hereingefallen sein. Und Ribbeck junior scheidet aus.«
»Weil ihm dafür der Verstand fehlt?« Ich schüttelte den Kopf. »Das ist kein Argument. Angesichts der Summen, um die es hier geht, wird er wohl einen Berater haben.«
»Wie auch immer«, sagte Maia. »Lass uns von hier verschwinden.« Sie holte einen Hammer aus der Tasche und nagelte die Säume der doppelten Leinwand wieder an den Keilrahmen. Behutsam legten wir den Keilrahmen zurück in den Goldrahmen, und Maia hämmerte die Nägel und Blendrahmenbleche wieder ins Holz.
»Als wäre nichts geschehen«, sagte sie zufrieden.
Ich warf noch einen letzten Blick auf das Bild, bevor Maia es zurückstellte. Seltsam. Jetzt sah es für mich eindeutig wie eine Fälschung aus. Wenn man es erst einmal wusste, war es klar zu erkennen.
Rasch stiegen wir die Treppe hinunter. Im ersten Halbstock bückte sich Maia und hob etwas auf. »Den hier«, sagte sie, »nehme ich besser wieder mit.«
Wir winkten ein Taxi heran. Als wären wir harmlose, unbescholtene Touristen. Was wir ja auch waren. Völlig unbescholten. Wir hatten nichts mitgenommen. Nichts beschädigt. Nicht einmal das Schloss ruiniert. Trotzdem war mir ein wenig flau zumute.
Ich wollte vorne einsteigen, aber Maia packte mich am Ellbogen und schob mich in den Fond.
»Was ist los?«
»Wir sollten besser nicht auffallen«, flüsterte Maia. »Du zitterst am ganzen Körper, das macht keinen guten Eindruck.«
Erst als der Wagen losfuhr, bemerkte ich, dass es in meinen Eingeweiden rumorte. Ich fühlte mich fiebrig. Mein Hals brannte. Maia hatte die große schwarze Tasche zwischen ihre Knie geklemmt. Sie öffnete sie und zeigte mir den Inhalt, als wollte sie mich beruhigen. In der Tasche war nichts, das wir gestohlen hatten. Man konnte uns nicht erwischen, weil wir nichts verbrochen hatten.
Plötzlich krähte ein Hahn. Einmal, zweimal, dreimal. Das Jüngste Gericht, dachte ich. Aber nein, da gab es keinen Hahn. Es war der Verrat an Jesus. Bevor der Hahn dreimal kräht, wirst du mich verraten haben. Oder dreimal verraten haben? Genau. Judas. Nein. Wieder falsch. Auf meiner Stirn hatte sich ein Film aus kaltem Schweiß gebildet. Petrus musste es sein. Der Fels. Der erste Papst. Der kopfunter Gekreuzigte. Wie auf der rechten Tafel von Bacons Triptychon Three Studies for a Crucifixion von 1962.
»Pronto«, sagte der Taxifahrer. »Maurizio«, sagte eine ferne weibliche Stimme; es folgte eine zärtliche Suada, der ich
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