Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
daran.«
»Gut, dann gehen wir davon aus, dass er früher oder später entdeckt, dass sein Bacon nicht echt ist.« Maia spuckte einen Kirschkern in ihre Hand und ließ ihn in den Aschenbecher fallen. »Die Frage ist: Was zieht er daraus für Konsequenzen?«
»Er kann es anonym zurückschicken«, sagte ich. »Das hätte Stil. Er kann es zerstören, vielleicht aus Zorn; das wäre nachvollziehbar, aber ein Zeichen von Schwäche. Oder er versucht es jemandem zu verkaufen, der wenig Ahnung von Kunst hat. Wenn du mich fragst: die wahrscheinlichste Variante.«
Die Qualle auf Sand entpuppte sich als Kombination von Nuss- und Napfkuchenstücken mit Obstsalat und jeder Menge Schlagobers. Maia stocherte achtlos darin herum.
»Warum eigentlich Henny ?«
»Er sollte ein Mädchen werden. Seine Geburt war eine Enttäuschung.«
Dreizehn
Ich stand an der Ampel vor dem Hotel und wartete, versunken in ein Taschenbuch von Christophe Domino über Bacons dunkle Visionen . Es war der letzte Nachmittag vor unserer Abreise, und wir hatten vereinbart, ihn getrennt zu verbringen. Maia hatte noch eine Verabredung mit ihrem Sportsfreund.
»Hallo Arthur«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum – und konnte den Impuls, kopfüber in die Büsche zu springen, nur mühsam unterdrücken.
»Nicht erschrecken«, sagte Isabel. »Ich bin’s nur.«
Sie trug eines dieser kniefreien Kleider in ihrem Lieblingsgrün. Sie musste zehn davon im Schrank haben. Die kurzgeschnittenen Haare ließen sie noch jünger aussehen. Den Diamanten in der Halsbeuge hatte sie nicht von mir. Ihr Lippenstift war scharlachrot. Zu Zeiten unserer Ehe hatte sie dezentere Farben bevorzugt. Sie strahlte eine Fröhlichkeit aus, die mir gar nicht gefiel.
»Hallo Isabel«, sagte ich endlich.
»Was machst du in Hamburg?«, fragte sie.
»Urlaub«, sagte ich.
»Ja, klar«, sagte Isabel. »Jetzt musst du ja nicht mehr ans Meer.«
Sie musterte mich mit einem Blick, der mich in inneren Aufruhr versetzte.
»Du hast abgenommen«, sagte sie. »Steht dir gut. Viel Bewegung?«
»Kann man so sagen.«
»Wollen wir kurz was trinken gehen?«
Nein, wollte ich sagen. Auf keinen Fall. Und schon gar nicht kurz . Ich bin ja keine alte Schulfreundin, mit der man auf eine schnelle Kaffeeplauderei in die Gartenlaube geht.
Ich nickte.
Die Ampel sprang auf Grün, wir querten die Straße. Ich zeigte auf das kleine Restaurant am Ende des Piers. Sein Name hing als Flagge auf einem der Segelschiffe: Kajüte . Wir setzten uns unter einen der Sonnenschirme. Isabel bestellte einen Pfefferminztee, ich ein kleines Bier. »Wie immer«, lachte Isabel. »Wie früher«, entgegnete ich. Die Wellen plätscherten an den Pier. Der Boden schwankte ein wenig. Isabel schlug die Beine übereinander. Ihr rechtes Knie kam mir gefährlich nahe. Ein Schweißtropfen rann von meiner Stirn in Richtung Nasenwurzel. Was Maia wohl sagen würde, wenn sie uns hier sitzen sähe? »Reiß dich zusammen«, vermutlich.
»Und was machst du hier?«, fragte ich mit unschuldiger Miene.
»Ich bin nicht auf Urlaub«, sagte Isabel. »Ich werde länger in Hamburg bleiben.«
»Ich weiß«, sagte ich. Das war ein Fehler. Eine einzige unbesonnene Sekunde. Das Strahlen verschwand aus Isabels Gesicht. Man konnte zusehen, wie sie ein entsetzlicher Verdacht beschlich.
»Sag bloß, du spionierst mir nach?« Mit dieser Stimme konnte man Steaks schneiden wie Butter.
»Nein, nein«, stammelte ich, »ich habe euch nur zufällig in London zusammen gesehen, und …«
»Bist uns zufällig bis Hamburg gefolgt? Ich kann es nicht glauben!«
»Ich hatte Angst um dich«, sagte ich. »Der Mann, mit dem du dich herumtreibst, ist ein gesuchter Verbrecher.«
»Unsinn«, sagte Isabel barsch. »Niemand sucht Viktor. Und seine Vergangenheit geht mich nichts an.«
»Und die Gegenwart? Er hat in der Tate Gallery von einem Bild gesprochen, und davon, es an sich zu bringen . Das klingt nicht nach Vergangenheit.«
»Belauscht hast du uns also auch?« Jetzt schrie Isabel fast. Ich konnte es gut verstehen. Ich an ihrer Stelle hätte mich auch gehasst. Mir blieb nur noch die Flucht nach vorne.
»Es ging um ein Bild von Francis Bacon«, sagte ich. »Und ein Bild von Bacon wurde auch gerade aus einem Dachboden in der Speicherstadt gestohlen. Da mache ich mir eben Sorgen.«
»Sorgen«, wiederholte Isabel und ließ das Wort in ihrem Mund hin und her rollen, als wäre es ein Stück Konfekt mit besonders ekelhaftem Geschmack. Sie spülte es mit
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