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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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…«
    »… für eine Einheimische gehalten? Na Gott sei Dank!« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Isabel Hilbrand«, sagte sie. »Meinen Eltern gehört das Hotel. In den Ferien werde ich immer zum Frondienst gezwungen.«
    »Valentin«, sagte ich und schüttelte ihre Hand. »Mir geht’s genauso.«
    »Valentin vorne oder Valentin hinten?«, fragte sie.
    Ich verstand nicht sofort und sah ihr hilfesuchend in die Augen. Mein erster Kontakt mit dem unermesslichen Blaugrau. Ich gab vor, von der Sonne geblendet zu werden, und hob die Hand als Schutzschild an die Stirn.
    Sie brachte mir ein üppiges Frühstück, von dem ich nur ein paar Bissen essen konnte, weil mein Körper jedes Mal, wenn sie sich näherte, in Aufruhr geriet. Als sie den Teller abräumte, warf sie mir einen besorgten Blick zu. »War etwas nicht in Ordnung?«
    »Doch«, stammelte ich und konnte meinen Blick nicht von ihren Augen wenden, »natürlich, alles in bester Ordnung.«
    »Fein«, sagte sie und schmunzelte. Ich wollte etwas Geistreiches sagen, aber mein Mund klappte nur lautlos auf und zu.
    »Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen Altaussee«, sagte sie und verschwand in der Küche.
     
    Wir trafen uns wenig später am Hoteleingang. Mir war gerade noch so viel Zeit geblieben, um mich zu rasieren und ein frisches Hemd herauszusuchen. Wir drehten die »berühmte Seerunde« – wie sie der Mann an der Rezeption genannt hatte – gegen den Uhrzeigersinn, vorbei am imposanten Hotel am See und durch den Ortsteil Fischerndorf in Richtung Seewiese.
    Gelb und weiß blühende Hänge voller Margeriten und Dotterblumen wurden von umzäunten Flächen unterbrochen, in denen das Gras auf Rasenhöhe heruntergestutzt worden war. Hinter einer Wegkurve tauchte das Hotel Seevilla auf; mit dem abblätternden Weiß und Grün seiner Fassade und den roten Begonien auf den Brüstungen der verwitterten Holzbalkone sah es aus wie aus der Zeit gefallen. Man hätte es für eine Luftspiegelung aus der Vergangenheit halten können, ein verwunschenes Geisterhaus, das durch die Jahrhunderte reisen konnte – einzig die auf Hochglanz polierten Karosserien der Limousinen und Geländewagen auf dem Hotelparkplatz passten nicht ganz ins Bild.
    Die Uferkante trennte die Felsen und Hügel scharf von ihren Spiegelungen auf der Wasseroberfläche. So formten sich symmetrische Figuren in allen Schattierungen von Grau und Grün. Wie bei einem um neunzig Grad gedrehten Rorschachtest erweckten diese Formationen ständig wechselnde Bilder im Kopf. Einmal sah ich einen felsengrauen Riesenfrosch, dann wieder einen Skorpion mit grün leuchtenden Scheren. An anderen Stellen des Weges drang kein Sonnenlicht durch die dicht an dicht stehenden Bäume; wir mussten achtgeben, nicht über Wurzeln zu stolpern. An der Seewiese öffnete sich der Baumvorhang und gab den Blick frei auf die steil aufragende Trisselwand. Sie schien so nahe, dass man meinte, nur eine Hand ausstrecken zu müssen, um sie berühren zu können. Wir kletterten auf einen kleinen Felsen nahe der Bootsanlegestelle; ein Schild verriet uns seinen Namen: Clarahöhe . In manchen seiner Ritzen blühten rot leuchtende Steinnelken. Das Wasser zu unseren Füßen hatte die Farbe von Smaragden. Wir schwiegen. Isabel warf mir einen herausfordernden Blick zu. Sie wartete darauf, dass ich etwas sagte. Aber ich brachte keinen Ton heraus.
    Erst als wir wieder auf dem Weg waren, löste sich die Blockade in meinen Kiefern.
    »Muss schön sein, hier aufzuwachsen«, sagte ich.
    »Das denken alle«, sagte Isabel, »die nur ein paar Tage hier sind. Aber mit der Zeit werden die Berge zu Mauern, und man will nur mehr hier raus. Am besten in Landschaften mit endlosen Horizonten oder gleich ans Meer.«
    Plötzlich blieb sie stehen und sah mich von der Seite an. »Wenn es Ihnen recht ist, können wir uns duzen«, sagte sie. »Arthur«, sagte ich, ein wenig überrumpelt, »Arthur vorne.«
    Sie hakte sich bei mir unter.
    »Und was treibt dich hierher, Arthur vorne?«
    »Hermann Broch«, sagte ich. »Ich arbeite an einem Forschungsprojekt über ihn.«
    »Ach, Broch«, sagte sie, als ginge es um einen alten Bekannten. »Wir hatten hier eine Ausstellung zu seinem hundertsten Geburtstag, vor zwei Jahren. Saß er nicht in Altaussee im Gefängnis, weil ihn ein Briefträger denunziert hatte?«
    »In Bad Aussee«, korrigierte ich.
    »Bist du Journalist?«, fragte sie. »Dann wären wir ja angehende Kollegen. Ich studiere nämlich Publizistik, in Salzburg.«
    »Ich bin

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