Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
Vom Netzwerk:
Maar andritter Stelle. Belohnung: 100000 Pfund.
    Sir Nicholas Serota, Direktor der Tate, so las ich auf den Seiten der BBC, hatte bei der Pressekonferenz zu der Berliner Plakataktion im Juni 2001 inständig an den Täter appelliert, das Kunstwerk zurückzugeben. Er hatte es »das wichtigste Porträt des 20. Jahrhunderts« genannt. Die gesamten Kosten, einschließlich der Belohnungssumme, hatte ein geheimnisvoller Mäzen, ein Bewunderer beider Künstler, aufgebracht. Der Zeitpunkt war nicht nur im Hinblick auf die Retrospektive ideal gewählt: Nach deutschem Recht verjährte Diebstahl nach zwölf Jahren. Die Sprecherin des British Council hatte garantiert, dass derjenige, der das Bild zurückgeben würde, keinerlei lästige Fragen zu befürchten hätte. Sie hatte die Vermutung geäußert, dass das Werk in Berlin »bei einem Verehrer Bacons oder Freuds« hängen könnte. Lucian Freud selbst hatte seine Bitte so formuliert: »Wäre die Person, in deren Besitz sich das Gemälde nun befindet, so freundlich, in Erwägung zu ziehen, mir zu erlauben, das Werk in meiner Ausstellung im nächsten Juni in der Tate zu zeigen?« Aber selbst diese britische Zurückhaltung hatte den Dieb nicht dazu bewegen können, sich zu melden.
    Das Fahndungsplakat war selbst ein Kunstwerk. Das Porträt war in Schwarzweiß reproduziert; die Belohnungssumme und die Telefonnummer waren im selben Rot gehalten wie die Lettern der Überschrift. Umschlossen war das Ganze von einem schwarzen Rahmen, sodass das Poster an eine Todesanzeige ebenso gemahnte wie an ein Kopfgeldplakat aus dem Wilden Westen. Als wollte Freud nicht nur das Bild zurückbekommen, sondern auch den Verlust seines Freundes öffentlich betrauern. Auch die große, wider jede Vernunft sich behauptende Utopie schwang mit: Wenn es der tiefste Wunsch des Malers ist, mit seinem Werk dem Verfall zu trotzen und den Porträtierten auf magische Weise vor dem Zugriff des Todes zu schützen, so würde mit der Rückgabe des Abbildes auch ein Teil des Abgebildeten zu ihm zurückkehren – jener Teil, den er für alle Zeiten auf das kleine Stück Kupfer zu bannen vermocht hatte.
    Freud wollte ursprünglich auf dünnem Billigpapier drucken und wild plakatieren lassen. Ein Lieblingsbuch aus seiner Kindheit hatte ihn dazu inspiriert: Emil und die Detektive von Erich Kästner. Am Ende war es dann hochwertiges Spezialpapier, und die Plakatierstellen und Litfaßsäulen wurden offiziell vom British Council angemietet. Die Auflage betrug nur 2500 Stück; schon wenige Wochen später galten die Exemplare als heißbegehrte Objekte auf dem Kunstmarkt.
    Über die Kampagne des Jahres 2001 war bei weitem mehr zu finden als über den Diebstahl selbst. Immerhin verriet der Guardian den genauen Zeitpunkt: 27. Mai 1988, zwischen elf Uhr vormittags und drei Uhr nachmittags.
    1988. Die Neigung zu kabbalistisch oder pythagoreisch inspirierter Zahlendeuterei lag mir fern, und salbungsvolles Gerede von Schicksal oder Vorbestimmung war mir zuwider. Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen, die mehr als ich in die Geheimnisse des Kosmos eingeweiht zu sein schienen, hatte ich die feste Überzeugung, dass es Zufälle gab. Aber das Jahr 1988 machte mich nervös.
    Ende 1988 schuf Bacon das beunruhigendste Bild seiner Spätphase: Second Version of Triptych 1944 . Schon Jahre zuvor hatte er den Vorsatz gefasst, von dem kleinen Pressspanplatten-Triptychon in der Tate eine große Fassung in seinem Lieblingsformat 198 mal 147,5 Zentimeter zu erstellen. Nun war der Anlass gekommen, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Nach dem Aufruhr, den eine Ausstellung von 22 seiner Bilder in der Neuen Tretjakow-Galerie in Moskau ausgelöst hatte, bereitete das Hirshhorn Museum in Washington den großen amerikanischen Gegenschlag vor. Die bisher umfangreichste Retrospektive in den USA sollte im Oktober 1989 in Washington beginnen, im weiteren Verlauf nach Los Angeles reisen und ihren Abschluss im Museum of Modern Art in New York finden – jenem Museum, das 1948 als erstes großes Museum der Welt ein Bild von Bacon angekauft hatte: Painting 1946 . Kolportierter Kaufpreis: 240 Pfund.
    Bacon wollte bei dieser Ausstellungsserie die Three Studies for Figures at the Base of a Crucifixion von 1944 unbedingt dabeihaben, erfuhr aber von der Tate Gallery, dass das Triptychon für einen Transport zu empfindlich sei.
    Statt des gespenstischen Orange wählte Bacon für die zweite Version ein leuchtendes Rot als Hintergrund. Die klaustrophobische Qualität der

Weitere Kostenlose Bücher