Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
mehr lag als an irgendjemand anderem.« Später nahmen die beiden Maler die Freundschaft wieder auf, wenn auch nicht in gleicher Innigkeit. Bis zu Bacons Tod blieben sie zumindest lose in Kontakt. Freud nannte Bacon »die wildeste und weiseste Person, die ich jemals getroffen habe«. Über das Porträt seines Freundes meldete er sich nach der gescheiterten Plakataktion nicht mehr zu Wort. In keinem der späteren Interviews wurde das Bild auch nur erwähnt.
Francis Bacon war überzeugt davon, dass das Gemälde gestohlen worden war, weil es ein herausragendes Porträt seiner selbst war. Der Gemalte sei der Anreiz für die Tat gewesen, nicht der Maler. »Die Diebe wussten genau, was sie taten«, sagte er zu Daniel Farson. In einem späteren Interview relativierte er diese Haltung. Ob der Raub nicht ein Preis des Ruhmes sei, wurde er gefragt. »Ja«, antwortete er, »aber des Ruhmes welcher Person?«
Die schönsten Zeilen über das kleine Bild fand ich in einem Essay von Robert Hughes. »Bacons birnenförmiges Gesicht«, schrieb er, »hat die stille Intensität einer Handgranate in der Millisekunde, bevor sie losgeht.« Der Essay war 1988 erschienen, wenige Monate bevor das Porträt spurlos verschwand.
In den Tagen nach dem Treffen im Gasthaus Grünauer hatte mich der Ehrgeiz gepackt, etwas über die Vorgänge im Mai 1988 herauszufinden, das nicht einmal Thomas Watt wusste. Die Nachforschungen erwiesen sich allerdings als mühsam. Ich gab mich als Kunsthistoriker aus, der eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema Kunstdiebstahl plane. Sehr überzeugend dürfte ich nicht gewirkt haben. Bei meinem Anruf in der Neuen Nationalgalerie dauerte es Stunden, bis man mich mit der Direktorin verband. Das Gespräch war hingegen nach wenigen Minuten beendet. Sie versicherte mir, dass das Bild damals alarmgeschützt gewesen sei – was allen Informationen, die ich bis dahin gesammelt hatte, widersprach. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, an einen besonders wunden Punkt gerührt zu haben. Die freundliche Dame von der PR-Abteilung ließ sich wenigstens dazu überreden, mir ein Pressedossier über den Fall zu schicken. Was ich Tage später dann in Händen hielt, war aber nur ein dünnes Konvolut von Pressemeldungen über die Wiederbeschaffungskampagne. Einem Artikel entnahm ich, dass die amtierende Direktorin der Neuen Nationalgalerie schon 1988 diese Funktion innegehabt hatte. »Man kann sich nur ein Leben lang schuldig fühlen«, sagte sie der Süddeutschen Zeitung . Kein Wunder, dass sie auf mein Anliegen so verhalten reagiert hatte. Ich spielte mit dem Gedanken, nach Berlin zu fliegen und vor Ort weiterzuforschen, doch die Vorstellung, wie ich mit meiner Schnüffelei den Museumsmitarbeitern auf die Nerven ging, ließ mich dann doch davon absehen.
Aufschlussreich waren die Presseberichte, die nicht am Tag der Pressekonferenz verfasst worden waren, sondern schon Bezug auf die Reaktionen der Berliner Bevölkerung nahmen. Die taz meldete am 2. Juli 2001, dass es schon »einige Hinweise« gegeben habe. Am 12. Februar 2002 veröffentlichte die Berliner Morgenpost unter Berufung auf die englische Boulevardzeitung Evening Standard einen Artikel, in dem von einer »heißen Spur«, die in einen »Vorort von Berlin« führe, die Rede war. Heikle Gespräche über die Sicherstellung des Bildes seien im Gange. Zehn Tage später berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass Angela Rose von der Londoner Zentrale des British Council auf Anfrage der Zeitung festgestellt habe, dass es gar keine heiße Spur gebe und alle diesbezüglichen Meldungen bedauerlicherweise aus der Luft gegriffen seien.
Ich versuchte mein Glück bei der Berliner Dependance des British Council. In einer höflichen Mail wurde mir mitgeteilt, dass das Institut sich keinesfalls an Spekulationen beteiligen werde. Auf eine erneute Anfrage hin verwies man mich, schon um eine Nuance unfreundlicher, an die Berliner Polizei. Ich rief dort an und hielt eine flammende Rede, doch der Beamte des Kunstdezernats winkte ab und empfahl mir, mich an die Neue Nationalgalerie zu halten.
Erst als ich auf das Buch einer Kölner Journalistin über spektakuläre Kunstdiebstähle stieß, in dem auch der Raub von 1988 abgehandelt wurde, kam etwas Bewegung in meine Recherche.
»Schön«, sagte sie am Telefon, »dass sich endlich auch die Wissenschaft mit diesem Thema beschäftigt.«
Die Wissenschaft, das war ich. Einen Moment lang fühlte ich mich wie ein schäbiger Betrüger; es
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