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Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Bacons Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Bacons Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Steiner
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Surrealisten zusammen. Leonhard war der Ansicht, Freuds Bilder gälten zu Unrecht als naturalistisch. Was könnte surrealistischer sein als eine Nase zwischen zwei Augen? «
    »Schöner Satz«, sagte ich. »Von Ihrem Mann?«
    »Von Freud«, sagte Lady Catherine.
    Sie zog an ihrem Zigarillo, und ich betrachtete ihre Hände. Hinter durchsichtiger Haut leuchteten violette Adern. Seit ich Bilder von Freud gesehen hatte, konnte ich Körper nicht mehr so wahrnehmen wie zuvor. Als hätte er mich mit seinem Blick angesteckt wie mit einem Virus. Wo früher opake Hautfläche war, befand sich nun eine transparente Struktur, etwas wie dünnes Seidenpapier oder ein Film aus fließendem Wasser. Flüssiges Papier. Ein Widerspruch, der nur in der Sprache lag, nicht im Bild. Und dahinter das wilde Leben in fragilen Gefäßen, dem Augenblick verschrieben und zur Hinfälligkeit verdammt. Bacons Fleisch unter Freuds Haut: So sah ich neuerdings die Menschen. Hier sind wir, existing for a moment , bis wir von der Wand gebürstet werden wie Fliegen.
    Der Mann mit den Röntgenaugen kam mir in den Sinn, eines von Isabels Lieblings-B-Movies. Der Held hatte ein Mittel erfunden, das ihn durch die Dinge sehen ließ. Erst sah er die Menschen nackt und freute sich. Dann erkannte er Knochen und Organe; so wurde er zum Wunderheiler. Am Ende richtete er den Blick gen Himmel und sah die grauenerregende Leere. Vor einem Altar kniend, riss er sich beide Augen heraus.
    »Sie denken an Ihre Freundin, nicht wahr?«
    Überrascht hob ich den Kopf.
    »Sie war es doch, die vor kurzem hier war, oder?«
    Ich nickte. »Meine Frau«, sagte ich.
    »Und Sie wollen ihrem neuen Geliebten nun ein Bild von Freud vor der Nase wegschnappen. Aus purer Missgunst.«
    »Ich wusste nicht, dass ich ein offenes Buch bin«, sagte ich.
    Sie nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch an die Decke.
    »Zwei Männer auf der Suche nach Freud, einer davon mit einer schönen Frau an seiner Seite. Da ist es nicht so schwierig zu erraten, worum es geht.«
    Sie drückte den Zigarillo in den Aschenbecher.
    »Obwohl Ihre Motive unlauter sind«, sagte sie, »finde ich es sehr bedauerlich, dass ich Ihnen nicht behilflich sein kann. Aber vielleicht sind Ihnen ja die Pfingstrosen ein kleiner Trost.«
     
    Die eigentliche Geschäftsabwicklung verlief dann beinahe förmlich. Ich zog einen Scheck aus der Innentasche meiner Jacke, und Lady Catherine überreichte mir einen flachen Gegenstand, in Packpapier gewickelt und mit Spagat verschnürt.
    Als ich mit dem Bild unter dem Arm im Flur stand, spürte ich einen stechenden Blick im Nacken. Ich drehte mich rasch um, aber da war nur das Foto von Leonhard Blohm.
    »Es sind Rhododendren«, sagte Lady Catherine zum Abschied.

 
    Dreiundzwanzig
     
    »Verstehe ich das richtig?«, fragte Sebastian. »Du hast um deine letzten zehntausend Euro ein Bild gekauft, und jetzt möchtest du, dass ich es wieder … wegmache?«
    Wir saßen im Gelben Krokodil , Sebastians Lieblingslokal in Linz. »Hier«, hatte er verkündet, »wird dir das Bier von Musikern oder Tänzerinnen gebracht, und in der Küche steht auch ein Künstler.« Ich hatte Maia verständigt und war von Hamburg geradewegs nach Linz gereist. Mit der Bahn, um der Sicherheitskontrolle am Flughafen zu entgehen. Aber auch im Zug war ich jedes Mal hochgeschreckt, wenn jemand die Tür zu meinem Abteil geöffnet hatte. Als der Schaffner meine Fahrkarte kontrolliert hatte, hatte mein Gesicht wieder die verräterische Rotfärbung angenommen. Meine Angst war jedoch unbegründet gewesen. Kein Mensch hatte Interesse an meinem Koffer gezeigt, in dessen Innenfach ein kleines flaches Paket versteckt gewesen war, das ich noch immer nicht geöffnet hatte.
    »Nicht ganz«, sagte ich. »Ich will nicht, dass du das Bild zerstörst. Ich bitte dich nur darum, es dir genau anzusehen und herauszufinden, ob sich unter der obersten Farbschicht etwas anderes verbirgt.«
    Ich erzählte ihm den neuesten Stand der Geschichte. Nur den Satz »sie wirkten sehr verliebt«, der aus Lady Catherines Mund geflogen war wie ein vergifteter Pfeil, behielt ich für mich.
    »Eines versteh ich nicht«, sagte Sebastian, nachdem ich geendet hatte. »Wenn dieses Bild von ihrem Mann in seinem Allerheiligsten aufbewahrt worden war, und sie ihn so geliebt hat, wie du sagst – warum verkauft sie es dir dann um lumpige zehntausend?«
    »Weil es in ihren Augen nicht mehr wert ist«, sagte ich. »Außerdem sind zehntausend für mich nicht gar so

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