Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
Jahnn.«
Wir setzten uns in den Salon. Ein Geruch von Lamm und Minze wehte von der Küche her.
»Jahnn, ja«, sagte Lady Catherine. »Wir kannten ihn gut. Er ist Anfang der Fünfzigerjahre hierhergezogen. Ich war 23, als ich ihn zum ersten Mal sah. Er hatte ein Gesicht wie ein gutmütiger Karpfen, aber wenn er zu sprechen begann, regnete es Feuer aus seinem Mund. Alle hier hatten Angst vor ihm. Es hieß, er schlafe mit Frauen, Männern und Tieren. Dabei war er ein so sanfter und zurückhaltender Mann. Leonhard und er wurden gute Freunde. Sie teilten die Leidenschaft für polyphone Musik. Josquin und Buxtehude waren ihre Helden.«
Lady Catherine verschwand in einem Nebenraum und kehrte mit einem Buch zurück. Es war eine Erstausgabe von Fluß ohne Ufer , ähnlich der, die ich zu Hause stehen hatte. Sie schlug das Buch auf und reichte es mir. Für Leonhard , stand da in Jahnns Handschrift auf dem Schmutztitel, den Freund und Mitstreiter für eine mehrstimmige Welt .
»Wunderschön«, sagte ich. »Ein besonderes Exemplar.«
»Sie kennen sich mit Büchern aus?
»Ich sollte. Ich habe ein Antiquariat.«
»Tatsächlich?« Lady Catherine spielte mit ihrem Ohrring, einem in Weißgold gefassten Lapislazuli. »Ein Geschäft voller Widersprüche.«
»Finden Sie?«
»Sie suchen nach wertvollen alten Büchern, und wenn Sie sie haben, müssen Sie sie wieder verkaufen.«
Ich musste lachen. »So gesehen haben Sie recht.«
»Es ist nicht leicht, sich von schönen Dingen zu trennen, nicht wahr?«
»Nein«, sagte ich. »Ist es nicht.«
»Wollen Sie nicht zum Essen bleiben?«
Natalie servierte uns eine zartrosa gebratene Lammkrone in einer Pfefferminz- und Salbeikruste. Sie zeigte mir das Etikett einer bereits entkorkten Rotweinflasche. Ich erschrak. Château Lafite Rothschild , stand da, 1986 . Den konnte ich unmöglich nickend zur Kenntnis nehmen. »Sie können doch nicht …«, stammelte ich, »wegen mir …« Doch Lady Catherine gab Natalie ein Zeichen, und schon war mein Glas gefüllt. »Die Übergabe eines Gemäldes«, sagte sie, »muss gebührend gefeiert werden. Gönnen Sie mir die Freude.«
Wir aßen und tranken schweigend. Lady Catherine warf mir hin und wieder amüsierte Blicke zu; sie verströmte die Grandezza einer Fürstin, die aus einer Laune heraus mit einem Stallknecht speist, ohne ihn auch nur eine Sekunde lang seines geringen Standes wegen zu verachten. Genauso gut hätte man ihr aber jederzeit abgenommen, gerade von einer Party bei Vivienne Westwood gekommen zu sein. Das letzte Abendlicht, das durch die Fenster fiel, ließ die purpurrote Strähne in ihrem Haar auflodern. In einem Papstbildnis Bacons von 1971 war die Kopfbedeckung des Pontifex von genau dieser Farbe.
»Ich hoffe, das Dinner war zu Ihrer Zufriedenheit«, sagte Lady Catherine, als Natalie die Teller abräumte und den Humidor auf den Tisch stellte. »Es war vorzüglich«, sagte ich. Den dargereichten Zigarillo lehnte ich dieses Mal dankend ab.
»Möchten Sie mir nicht verraten, was Ihnen an dem jungen Ding mit den Pfingstrosen so gefällt? Vielleicht könnte ich dann im Nachhinein Leonhards Begeisterung besser verstehen.«
Das Blut schoss mir in den Kopf. Es war eine lästige physische Schwäche für einen Betrüger, bei jeder Gelegenheit rot zu werden. Doch vielleicht war ich ja gar kein Betrüger. Das Mädchen mit den Pfingstrosen war die hübsche Arbeit eines Kunststudenten, nichts weiter. Und Leonhard hatte das Bild eben gemocht, einfach so, weil sein Geschmack unabhängig gewesen war und sich nicht nach dem schnöden Marktwert gerichtet hatte.
»Es spricht mich nun einmal an«, sagte ich mit einer Gereiztheit in der Stimme, die ich nicht beabsichtigt hatte. Lady Catherine musterte mich wie einen Tanzschüler, der gerade seiner Partnerin beim Walzer auf die Füße getreten war. »Wir müssen die Konversation über Ihr Bild nicht fortführen«, sagte sie eisig. »Es ist ja schließlich Ihre Sache, was Sie erwerben.« Sie zupfte eine weiße Haarlocke zurecht, die ihr in die Stirn gefallen war. »Aber vielleicht erzählen Sie mir ja, was Sie an Lucian Freud so fasziniert.«
Ich versuchte meine Fassung zurückzugewinnen. »Schwer zu erklären«, hörte ich mich sagen. »Seine Hingabe vielleicht. Und seine Klarsichtigkeit.«
»Sie hätten sich gut mit Leonhard verstanden«, sagte Lady Catherine; ihr Tonfall war wieder milder geworden. »Er hätte in der Tat immer gerne einen Freud besessen. Es hing mit seiner Leidenschaft für die
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