Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
denkst du …?«
»Ich denke gar nichts«, sagte ich. »Es ist eher eine Frage des Instinkts. Ich werde morgen das Bild erwerben.«
»Wie viel?«
»Zehntausend. Meine eiserne Reserve.«
»Dann muss ich dir recht geben.«
»Im Ernst?«
»Ja. Der Begriff seltsam passt perfekt.«
»Warten wir’s ab«, sagte ich.
Am Nachmittag fuhr ich zum Nienstedtener Friedhof. Dieses Mal gab ich nicht auf, bis ich den Friedhofsverwalter herausgeläutet und ihn genötigt hatte, mich zu Jahnns Grab zu führen.
Im Schatten hoher Bäume, umwuchert von Farn, lagen drei schwere Steinplatten, umgeben von einer niedrigen, zum Weg hin offenen Ziegelmauer, auf die weitere Steinquader gelegt worden waren. Die Grabstätte wirkte schlicht und doch monumental. Auf der ersten Platte stand Ellinor Jahnn, geborene Ehlers, 1923 bis 1970 . Das einzige Zugeständnis an die Welt der christlichen Zeichen war ein Kreuz in einem Kreis neben Ellinors Todesjahr. Jahnns eigene Platte trug nur seinen Namen; die dritte Tafel, zum Gedenken an seinen geliebten Freund Gottlieb Harms, war gänzlich unbeschriftet. Jahnn hatte das Grabmal nach ägyptischem Vorbild konzipiert; was davon verwirklicht werden konnte, war nur das Fundament. Für die kuppelförmigen Aufbauten, eine Art heidnischer Kapelle, hatte das Geld nicht gereicht. Die beiden Menschen, die ihm am nächsten standen, sollten an seiner Seite beerdigt werden. Er hatte eine massive unterirdische Konstruktion entworfen, weil er eine Störung der Grabesruhe fürchtete. Harms starb bereits 1931; da sein Sarg diagonal beigesetzt werden musste, weil die von Jahnn vorgeschriebene Auskleidung der Gruft mehr Raum einnahm als vorgesehen, war der Platz so knapp geworden, dass für Jahnn ein kleinerer Sarg gezimmert werden musste. So wurde er sitzend bestattet.
Kein einziges Gedenklicht war zu sehen. Obwohl es Juli war, lagen schon gelbe Blätter auf den Steinen. Auf dem benachbarten Grab blühten blaue Hortensien. In einem Moment der Kühnheit brach ich eine Blüte vom Stengel und wollte sie auf Jahnns Grabplatte werfen. Doch ich zielte schlecht, und so landete die Hortensie auf Ellinors Kreuz. Ich legte meine Hand noch eine Weile auf die von der Sonne gewärmte Steinmauer, ehe ich mich auf den Rückweg machte.
Vor dem Gasthaus Jacob , wo am 1. Dezember 1959 der Leichenschmaus stattgefunden hatte, standen jetzt zwei hohe schwarze Vasen voller Hortensien. Ich ging um das Hauptgebäude herum und setzte mich auf die Terrasse. Hier speiste und trank man unter knorrigen alten Linden hoch über der Elbe. Containerschiffe glitten übers glitzernde Wasser. Ein Flugzeug vor dem Airbus-Gelände sah aus wie ein gestrandeter Wal.
Ich dachte an das Begräbnis Gustav Anias Horns in Fluß ohne Ufer . Jahnn lässt den Pfarrer Byder das »unerquickliche Schauspiel« schildern: »Man hatte die Kosten für einen Sarg gespart und nur ein Tuch um den Leichnam gewunden. An einem Flaschenzuge hängend ließ man den Kadaver eines Pferdes in einen recht engen, bodenlos scheinenden Schacht hinab; dann folgte, angeseilt, allerdings von zwei Männern eine Leiter hinab getragen, die sterbliche Hülle des Komponisten; und endlich, ebenfalls getragen, der Körper eines toten Hundes. Nur mit Mühe konnte ich mich zurückhalten, gegen den Vorgang zu protestieren, der mich an einen Schindanger gemahnte.«
So wollte Horn es haben: In seine treuen Tiere wollte er »hineinverwesen«. Eine profane Unio mystica. Die ehernen Sätze Horns klangen mir im Ohr. »Es ist wie es ist. Das ist der schreckliche eiserne Pol. Kein Glaube bewegt ihn. Die Milliarden Schmerzen haben ihn in den Mittelpunkt der Welt getrieben, und nicht einmal die ewige Ruhe, der ewige Stillstand würde ihn ausreißen. Die Dimensionen der Schöpfung stehen in diamantener Konstruktion – und wir hängen darin wie Kirchenräuber am Galgen. Vergeblich flehe ich den Segen auf Wälder und Tiere herab. Vergeblich wähle ich die Partei der Schwachen und Besiegten – – ich errette keinen – – «
Die Sonne stand schon tief zwischen den Bäumen der Parks und Gärten, als ich vor Lady Catherines Haustür ankam. »Sie haben ja Erde an den Schuhen«, sagte sie, als wäre das ein unerhörtes Sakrileg. Gehorsam zog ich die Schuhe aus und stellte sie vor die Türschwelle.
»Haben Sie nach Schätzen gegraben, um das Bild zu bezahlen?«
»Ich habe ein Grab gesucht.«
»Ach. Sie haben Verwandte in Blankenese?«
»Nein«, sagte ich. »Meine Suche galt Hans Henny
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