Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
lumpig.«
»Lass uns zu mir gehen«, sagte Sebastian. »Ich kann es nicht erwarten, deinen kleinen Schatz zu sehen.«
Ich wollte aufstehen, aber mitten in der Bewegung schoss ein Schmerz in meinen Rücken, als hätte mir jemand ein Messer in die Wirbelsäule gerammt. In nach vorne gekrümmter Haltung war mein Körper eingerastet. Ich konnte mich weder hinsetzen noch aufrichten. Sebastian verschluckte sich fast vor Lachen, zahlte, nahm meinen Koffer und geleitete mich aus dem Lokal, ganz langsam, Schritt für Schritt. Es war ein Glück, dass sein Atelier um die Ecke lag. Und das Haus einen Aufzug besaß.
Sebastian schloss die Ateliertür auf und legte mich auf ein Sofa, das gleich neben dem Eingang stand. »Meine Empfangscouch«, grinste er. Normalerweise liegen dort keine älteren Herren mit Hexenschuss.«
»Don-Juanismus ist eine Krankheit«, sagte ich. »Man kann das heilen.«
»Ich huldige nur dem Körper«, sagte Sebastian. »Dem Tempel des Geistes.«
»Tempel des Geistes? Dass ich nicht lache! Eher eine Hundehütte, in der der Geist an der Kette liegt.«
»Schiefes Bild«, sagte Sebastian.
»Schief wie die Hütte«, sagte ich.
Das Atelier war vollgeräumt mit Farbdosen, Pinseln, Töpfen, Staffeleien und goldenen Rahmen. Mittendrin stand eine hölzerne Pietà, lebensgroß. Sebastian folgte meinem Blick. »Ein edles Stück«, sagte er und legte der Muttergottes eine Hand auf die Schulter. »Unbezahlbar. Eine Herausforderung für jeden Restaurator. Ich hoffe, ihr Anblick beleidigt nicht deine empfindsame atheistische Seele.«
»Lass uns anfangen«, sagte ich.
Sebastian hatte den Koffer flach auf den Atelierboden gelegt und kniete nun davor nieder.
»Darf ich?«
»Nur zu.«
Er ließ die Schlösser aufschnappen, klappte den Koffer auf und nahm das Paket aus dem Innenfach. Er holte sich ein Stanleymesser und schnitt die Schnüre durch. Vorsichtig faltete er das Packpapier auseinander und hob das Bild heraus.
Er betrachtete es lange.
»Es ist wundervoll«, sagte er schließlich. »Bist du sicher, dass du es vernichten möchtest?«
»Nein«, sagte ich.
Wir schwiegen eine Weile. Der Schmerz in meinem Rücken ließ nach. Es war anscheinend doch nicht mein Schicksal, bis an mein Lebensende an Sebastians Couch gefesselt zu bleiben. Vorsichtig setzte ich mich auf.
Sebastian nahm das Bild und legte es auf seinen Arbeitstisch. Aus einem Becher, in dem Pinsel verschiedener Größe steckten, fischte er ein Skalpell heraus und berührte mit der Klinge das Bild. Er schaute mich an. »Soll ich oder soll ich nicht?«, fragte er. »Du musst dich entscheiden.«
Ich nickte.
Sebastian begann an der rechten oberen Ecke des Porträts Farbe abzukratzen. Dann löste er das Bild aus dem Rahmen und legte es unter ein Mikroskop. Er pfiff durch die Zähne.
»Deine schicke Herzogin hat dir einen Bären aufgebunden. Diese Farbe ist keine fünf Jahre alt.«
Die Vorstellung einer betrügenden Lady Catherine passte nicht in das Bild, das ich mir von ihr gemacht hatte.
»Kann es denn sein«, fragte ich, »dass sie das gar nicht gewusst hat? Obwohl sie so stolz darauf ist, Expertin zu sein?«
»Gut möglich«, sagte Sebastian. »Der Fälscher hat die Farbe so geschickt präpariert, dass man das Bild durchaus für älter halten könnte.«
»Vielleicht wollte sie nicht genauer hinschauen«, sagte ich.
Sebastian ging in einen Nebenraum und kehrte mit einem Diaprojektor zurück.
»Willst du die Fotos von meinem letzten Urlaub sehen?«
Er musste den Verstand verloren haben. Was unternimmt man, wenn der beste Freund vor den eigenen Augen verrückt wird?
»Sind schön geworden. Wir waren auf Mauritius.«
»Sebastian«, sagte ich, »ich glaube, es ist jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick …«
Er bekam einen Lachanfall. »Immer noch der alte Arthur«, prustete er. »So leicht reinzulegen wie eh und je.«
Er stellte den Diaprojektor auf den Tisch, rollte das Kabel aus und drückte den Stecker in die Steckdose. Dann nahm er das Bild und hielt es so in den Lichtkegel, dass es von der Seite angestrahlt wurde. Mit den Fingerkuppen strich er leicht über das Relief.
»Im Streiflicht«, sagte er, »kann man winzige Erhebungen erkennen. Normalerweise müssten sie exakt zu dem Bild passen, das man von vorne sieht. Aber hier gibt es Strukturen von Pinselstrichen, die nichts mit deiner Schönen und den Pfingstrosen zu tun haben.«
Er ging zurück zum Mikroskop und legte das Bild noch einmal darunter. Diesmal kratzte er
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