Bacons Finsternis: Roman (German Edition)
geehrter Herr Freud, ich verehre Sie sehr, und ich möchte Ihnen auf diesem Wege eine erfreuliche Mitteilung machen. Ich habe Ihr verschollenes Bild gefunden. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass ich nicht derjenige bin, der es damals gestohlen hat . Lächerlich. Kein Mensch würde mir glauben.«
»Aber du kannst es nicht behalten. Auch wenn du dir noch so sehr wünschst, deinem Rivalen eins auszuwischen. Du machst dich strafbar.«
Auch als unser Gespräch aufgewühlter wurde, schauten wir uns nicht an. Dieses Rechteck vor uns auf dem Boden hielt unsere Blicke fest. Nie wieder würden wir etwas anderes betrachten können. Nie wieder aufstehen und den Verrichtungen des Überlebens nachgehen. Wir würden vor Freuds Porträt bei lebendigem Leibe im Schneidersitz vertrocknen.
Bacons Stirnlocke bewegte sich – eine Schlange, beschworen von einem dämonischen Flötenspieler – im Takt einer herzzerreißenden Musik, die nur wir hören konnten.
»Was ist mit der Polizei?«, fragte Sebastian.
»Dass diese Frage ausgerechnet von dir kommt, enttäuscht mich.«
Bacons rechte Stirnwölbung hob und senkte sich, das Licht changierte im Rhythmus eines fremden Atems, als würde jeden Moment ein faustgroßes Tier durch die Haut platzen.
»Du könntest es irgendwo deponieren und der Polizei einen anonymen Hinweis geben.«
»Eine Kindesweglegung? Kommt nicht in Frage!«
Vor Bacons linkem Auge glitzerten die Wimpern wie vereiste Fäden. Im Moment des Lidschlags stießen sie leise klirrend aneinander. Umschlossen von einer grün leuchtenden Iris, schimmerte in opakem Schwarz die Pupille, der Eingang zu Bacons Finsternis.
»Was hast du dann vor?«
»Es anschauen«, sagte ich.
Erst gegen Abend wich die Behexung, und wir schafften es, uns vom Anblick des Bildes loszureißen. Sebastian versteckte es in einem Schrank, schob die Pietà davor und kehrte, als wir schon auf der Straße waren, noch einmal zurück, um sicherzugehen, dass er die Ateliertür abgeschlossen hatte. Mit wackeligen Beinen gingen wir die paar Schritte zum Gelben Krokodil . Feengleiche Wesen trugen Teller mit duftenden Speisen an uns vorüber, aber Sebastian wandte nicht ein einziges Mal den Kopf. Wir tranken zügig und schwiegen lange.
»Wir waren heuer übrigens wirklich auf Mauritius.«
»Wer? Du, deine Zahnärztin und Iwan der Schreckliche?«
»Er heißt Alexej«, sagte Sebastian. »Und er ist aus dem Rennen.«
Drei
Seit das Bild in meinem Besitz war, hielt es auch meine Gedanken besetzt. Meine kindliche Freude am Zusammensetzen von Puzzleteilen hatte sich nicht gelegt; doch die Zielrichtung, die Zweckgebundenheit der Denkbewegungen war verlorengegangen. Ich wollte nicht mehr vorankommen, nichts mehr aufdecken, nichts mehr entschlüsseln. In meinem Kopf hatte sich ein Igel eingenistet; eine zusammengerollte Kugel, von der die Stacheln in alle Richtungen abstanden.
Lucian Freud erzählt, dass es Postkarten von Pieter Brueghels Gemälden aus dem Kunsthistorischen Museum waren, die ihn erstmals mit Malerei in Berührung brachten. Geschickt hatte sie ihm sein Großvater. Lucians Erinnerungen an ihn sind durchdrungen vom schwarzen Humor Sigmund Freuds. »Lachen«, sagt der Maler, »prägt die Erinnerung an einen Menschen. Und er hat mich oft zum Lachen gebracht.« In der frühesten Begegnung, die Lucian noch gegenwärtig ist, wird sein Großvater, der an Gaumenkrebs erkrankt ist, hinter einem Paravent gewaschen. »Er hatte ein Gebiss, was für die damalige Zeit eher ungewöhnlich war. Er schaute hinter seiner Trennwand hervor mit dem Gebiss in der Hand, das er auf- und zuklappte. Meine Mutter war sauer, weil sie dachte, ich hätte Angst. Aber es hat mir so gefallen!«
»Ich mag die Art, wie er die Dinge erklärt«, sagt Bacon über Sigmund Freud. »Die klassische Unterscheidung zwischen Bewusstem und Unbewusstem ist sehr hilfreich. Sie hat den Vorteil, dass man nicht auf metaphysische Erklärungen zurückgreifen muss, um über Dinge zu reden, die sich einer rationalen Erklärung entziehen. Das Unbekannte ist nicht mehr ins Reich des Mystischen verbannt. Und das ist sehr wichtig für mich, da ich alle Erklärungen dieser Art verabscheue.« Freud selbst hielt es sogar für folgerichtig, »alle irgendwie Gläubigen vom Besuch einer Universität auszuschließen«. Der Mensch, schreibt er in einem Brief an Carl Gustav Jung, »kann sich die elternlose Welt nicht vorstellen und leistet sich einen gerechten Gott und eine gütige Natur, die
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