BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
wertvollen Gehstocks, und das Alter des Mannes war kaum zu schätzen: er konnte die Vierzig ebenso gut gerade erst überschritten wie die Sechzig beinahe erreicht haben – , war etwas an ihm, dass den Kardinal ein bisschen mehr als nur beunruhigte. Ohne dass er es konkret hätte benennen können.
Vielleicht war es etwas, das den anderen unsichtbar umgab; vielleicht war es sein Gebaren – seine Angewohnheit etwa, sich stets im Schatten zu halten; sein rhetorisches Talent, mit vielen Worten wenig zu sagen und mit wenigen Worten Rätselhaftes noch mehr zu verklären; seine Fähigkeit, die eigenen Gesichtszüge wie die einer Wachsmaske modellieren zu können, was es anderen unmöglich machte, hinter die Fassade zu sehen.
Und vielleicht war es etwas ganz anderes...
Vielleicht das, was die wenigen Menschen, die sich zu dieser früher Stunde auf dem Petersplatz aufhielten, einen Bogen um die beiden Männer schlagen ließ und sie fremden Blicken offenbar entzog.
Der Kardinal war es gewohnt, wegen seiner auffälligen Erscheinung und der Soutane, die Zeichen seines hohen Amtes war, von Besuchern des Heiligen Platzes zumindest mit verhohlener Neugier bedacht zu werden. Doch jetzt, im Beisein des anderen, war es, als gäbe es ihn gar nicht.
Im Beisein des anderen...
Des
anderen
...
Caracolli kannte nicht einmal seinen Namen. Und auch das mochte einer der Gründe sein, weshalb ihm diese Treffen verhasst waren.
»Sie haben mit dem Chef gesprochen?«, fragte der andere aus dem Schatten des Obelisken heraus, und der Kardinal konnte sich des seltsamen Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Schatten den Mann ein kleines bisschen mehr umhüllte, als er es eigentlich hätte tun dürfen.
Caracollis Augenbrauen wanderten mit fast hörbarem Knistern aufeinander zu, als er missbilligend die Stirn furchte. Der despektierliche Umgangston, den der andere bisweilen anschlug, war auch so eine Sache...
»Ja, das habe ich«, sagte er dann. »Und ich frage mich einmal mehr, weshalb Sie es nicht selbst tun. Wenn Sie allem Anschein nach doch so vertraut mit Seiner Heiligkeit sind...«
Ein freudloses und wie gewohnt künstlich wirkendes Grinsen erschien im schattenhaften Gesicht seines Gegenübers: »Gehen Sie der Einfachheit halber davon aus, dass ich Schwierigkeiten habe, den polnischen Akzent zu verstehen, hm?«
Jeder andere hätte das Grollen, das sich Caracollis Brust entrang, als eine unmissverständliche Drohung aufgefasst. Der andere jedoch quittierte den dumpfen Laut nur mit einer um eine winzige Nuance veränderten Version seines Lächelns und sagte: »Dann haben Sie eine Nachricht für mich?«
Er fragte nicht, er stellte fest. Und streckte gleichzeitig die Hand aus; gerade soweit, dass sie den Schatten des Obelisken nicht verließ.
Der Kardinal streckte seinerseits die Rechte vor, die er bisher hinter seinem Rücken verborgen gehalten hatte. Der Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, erstarb noch hinter seinen Lippen, als seine Hand in den Schatten glitt.
Dieses Gefühl...
Diese unmögliche Kälte, die wie mit winzigen, aber höllisch scharfen Zähnen in seine Finger biss, kaum dass sie in den Schatten des Obelisken eintauchten...
Es musste Einbildung sein.
Es
konnte
nur Einbildung sein!
Und doch löste sich sein Griff wie unter plötzlichem Schmerz, und er ließ den Umschlag, den er gehalten hatte, mehr in die offene Hand des anderen fallen, als dass er ihn wirklich überreichte...
Der andere drehte das unscheinbare Kuvert und brach das päpstliche Lacksiegel, das ihn verschloss. Dann entnahm er dem Umschlag ein nicht minder unscheinbares Blatt Papier, von dem Caracolli nur so viel erkannte, als dass es handschriftlich beschrieben war, mit nicht einmal sonderlich vielen Worten.
Die Augen des anderen bewegten sich rasch hin und her, während seine Blicke über die wenigen Zeilen huschten. Sein Mienenspiel gab dabei – natürlich – keinen Aufschluss über das, was er las. Und mit der gleichen Ausdruckslosigkeit in den Zügen holte er dann ein Sturmfeuerzeug aus einer Tasche seines Jacketts, schnippte die Flamme an und hielt sie an das Papier, das er zuvor einmal der Länge nach gefaltet hatte.
Das Blatt wurde so schnell vom Feuer verschlungen, dass Caracolli vermutete, es müsste mit einer brennbaren Substanz getränkt sein. Der andere hielt es so lange fest, bis die Flammen schon nach seinen Fingern züngelten. Dann erst ließ er es los, und Ascheflocken wehten wie schwarzer Schnee über den
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