BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Reise. Denn wenn wir das sagenhafte Land, die sagenhafte Insel nicht finden, werden wir unsere Heimat bei unserer Heimkehr vielleicht nicht mehr wiedererkennen...« Der Augure lächelte, um das gerade Gesagte ein wenig in seiner Wirkung zu dämpfen. Um vollends abzulenken, fragte er: »Wo ist Manogan?«
»Unter Deck«, antwortete Parask. »Wenn Ihr mich fragt, sieht er nicht aus wie der Angehörige eines Volkes, das uns in welcher Hinsicht auch immer helfen könnte. Er wirkt... primitiv.«
Obwohl Dakaris genau denselben Eindruck bei seiner ersten Begegnung mit dem ehemaligen Schiffbrüchigen gewonnen hatte, widersprach er Parask: »Auch bei uns gibt es unendlich viele, die das schlichte Volk vertreten, und einige wenige, die dem herrschenden Geblüt entstammen oder über Gaben verfügen, die die Götter ihnen geschenkt haben. Es wäre nicht richtig, von Manogan auf die Hyperboreer als Ganzes zu schließen. Alles, was ich mir von ihm erwarte, ist, dass er unsere Sprache übersetzt. Nicht mehr und nicht weniger.«
Thalius lächelte grimmig. »Stimmt es, dass wir ihn viele Jahre gefangen hielten?«
Dakaris bejahte.
»Dann schlage ich vor, ihn lieber gleich den Haien zum Fraß vorzuwerfen, bevor er bei den Seinen schlecht über uns redet!«
Er meinte es ernst.
Dakaris ersparte sich weitere Diskussionen über etwas völlig Indiskutables. Er ließ Thalius und Parask stehen und begab sich unter Deck zu Manogan.
»Ich sprach gerade mit jemandem, der dich lieber gleich über Bord werfen würde, weil er offenbar an deiner Zusage zweifelt, uns zu helfen, eine friedliche Verständigung mit deinem Volk herzustellen«, sagte Dakaris, als er die von flackerndem Licht erhellte Kammer betrat, in der Manogan abseits der übrigen Besatzung untergebracht war. Er war nicht angekettet, sondern durfte sich an Bord frei bewegen. Aber davon machte er nur selten Gebrauch. Wahrscheinlich spürte er die Ablehnung, die ihm von allen Seiten entgegenschlug. Er war ein Fremder unter Fremden und hatte keinen einzigen Freund an Bord.
Nicht einmal Dakaris konnte sich ganz von Misstrauen lossagen, wenn er dem Hyperboreer gegenüberstand und mit ihm sprach.
»Du weigerst dich standhaft, über deine Heimat zu erzählen. Wie die Menschen dort leben. Wie eure Städte aussehen. Wer euch regiert... Und ich kann nicht glauben, dass du dich an all das nicht mehr erinnerst.« Der Augure schüttelte den Kopf. »Es wundert mich, dass Minos dir in dieser Hinsicht blind vertraute. Ebenso gut hätte er befehlen können, dich unter der Folter zum Reden zu bringen...«
Manogan saß zwischen Taurollen. Er war groß und abgemagert. Seine Rippen waren so erhaben, dass sie die Blicke auf sich zogen, noch bevor man das Gesicht anschaute. Dunkles, wirres Haar und ein Vollbart verdeckten sein Antlitz so umfassend, dass Dakaris dem Hyperboreer Absicht unterstellte.
Er will nichts von sich preisgeben. Nicht einmal seine Gefühle.
»Euer König glaubt mir, weil es die Wahrheit ist. Ich erinnere mich nur verschwommen. Dennoch zieht es mich mit Macht in die Heimat zurück. Dort – nicht unter Menschen, deren Tun und Handeln ich nicht verstehe – will ich sterben und begraben werden.«
»Ihr begrabt eure Toten?«
»Nicht unter Erde. Unter Steinen. Wir schichten sie über die Körper.«
»Seltsam, dass du das noch weißt, alles andere aber nicht...«
»Euer Misstrauen ist unbegründet. Ich bin froh, dem Kerker entronnen zu sein. Was immer ihr in meiner Heimat sucht, es gibt mir die Chance, sie wiederzusehen. Dafür bin ich dankbar. Ich halte meine Versprechen.«
»Ich hätte nichts dagegen.«
»Wann sind wir am Ziel?«
Manogan schien davon auszugehen, dass die Kreter den Kurs genau kannten, über den sie an ihr Ziel gelangen konnten. Dakaris hatte auch nicht vor, ihn zu entmutigen, indem er ihm die Wahrheit sagte: dass sie in Wirklichkeit in der Weite der Ozeane herum
stocherten
, als suchten sie eine Nadel im Heuhaufen. Im Wunderglauben, so das sagenhafte Reich aus König Minos' Traum zu finden.
Jedes Mal, wenn er selbst darüber nachdachte, wie blind sie in See gestochen waren, kam die Kälte wie eine Erinnerung an die Nacht auf König Minos' Balkon über den Auguren.
Während er in Manogans nervös zuckende Augen blickte, fasste er den Entschluss, einen der Fische zu Rate zu ziehen, die sporadisch mit einem Schleppnetz an Bord gezogen wurden. Vielleicht würde dessen Eingeweide einen Hinweis liefern, wie lange sie noch die Meere kreuzen oder wo
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