BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
widerfahren könnte, und deshalb bitte ich nicht, sondern fordere euch auf:
Entsendet mich!
Lasst uns nicht warten, bis sich diesem Satan niemand mehr entgegenstellen kann!"
Phanuel spürte, wie auch die letzte Wärme aus ihm wich. Raphael sprach aus, was sie alle im geheimen dachten. Aber wahrscheinlich war er der Einzige, der sich selbst angeboten hätte, aus dem Kerker auszubrechen und sich einem ungewissen Schicksal zu übergeben. Mochten sie hier auch eingeschlossen und ohnmächtig sein, so waren sie doch auch sicher vor dem, was die Welt heimsuchte, auf die ihre wahren Augen gerichtet waren.
"Du weißt, dass du allein gehen müsstest?" fragte Phanuel. "Wir alle müssten uns zusammenschließen, und wir bräuchten Äonen, um uns danach von dem Kraftakt wieder zu erholen, der dieses Gefängnis für einen Moment öffnen würde und dich durchschlüpfen ließe..."
"So war es bei Michael, und so wird es bei mir sein", bestätigte Raphael, dass er sich der Folgen bewusst war. Aller Folgen. "Und wenn mein Transfer eine erneute Lücke in Luzifers Höllenreich bricht, werde ich nur mich selbst – wie Salvat es tat – opfern können, um diesen Riss zu verschweißen. Nichts wird in solchem Fall gewonnen sein. Aber wir hätten es wenigstens
versucht
, wir hätten uns wenigstens bemüht, die völlige Auslöschung unserer Schutzbefohlenen abzuwenden!"
"Es gibt bereits Streiter gegen den Sendboten Luzifers", meldete sich erneut Uriel zu Wort.
"Ihr wisst, dass sie nichts verrichten können gegen diesen Feind!"
Phanuel beobachtete, wie Raphael sich enttäuscht abwandte, den anderen den Rücken kehrte und in die Weite der Basaltebene stapfte, als genüge ihm bereits der Einwand Uriels, um zu resignieren.
Er hat recht,
dachte Phanuel,
wir sind erbärmlich.
Und er rief: "Bleib! Geh nicht fort! Wir werden deinen Vorschlag prüfen! Und dann werden wir entscheiden, was zu tun –"
Ruckartig blieb Raphael stehen. Ruckartig drehte er den Kopf und stieß in einer Weise hervor, wie niemand ihn jemals hatte reden hören, aggressiv und enttäuscht, als hätte er gerade die letzte Achtung vor ihnen verloren: "Wie lange glaubt ihr noch warten zu dürfen?! Sind nicht euer aller Blicke auf das gerichtet, was geschieht? Seht euch an, was aus Jerusalem geworden ist...
aus Jerusalem!
Öffnet eure Sinne für das, was sich unter dem Vorhang aus Zwielicht ereignet! Sie sterben! Eine ganze Stadt stirbt! Hunderttausende! Und ihre Mörder sind Ausgeburten von Luzifers Schöpfung! Wie lange wollt ihr noch eure Augen verschließen vor dem Begreifen, dass unser gefallener Bruder nicht überraschend zur Entscheidungsschlacht geblasen hat, sondern nur die Ernte einfährt, die er über Jahrtausende der Untätigkeit –
unserer
Untätigkeit – ausgesät hat? Ekelt euch nicht manchmal vor euch selbst? Mir geht es so – und noch nie empfand ich größere Abscheu vor uns und mir als in dieser Stunde, in der wir mehr Schuld durch unser Zaudern auf uns laden als in den Zeitaltern davor! Wir müssen handeln, und wenn wir es jetzt nicht tun, werden wir verdammt sein, so unantastbar wir in diesem Kerker für den Bruder von einst auch sein mögen. Denn falls ER, der uns verlassen hat, eines nahen oder fernen Tages zurückkehrt, wird ER uns fragen, was geschehen ist – wie all dies geschehen konnte. Wer will IHM dann antworten? Wer von uns? Sagt!"
Phanuel ließ die Sonne verlöschen und verhüllte sein steinernes Antlitz vor den anderen. Jedenfalls erweckte er sich selbst gegenüber diesen Eindruck. Denn auf ihre Ebenen, ihre "Kulissen" hatte er keinen Einfluss.
Als alle schwiegen, fuhr Raphael fort: "Begreift, dass wir nicht mindere Schuld auf uns laden wie Luzifer – wenn wir nichts gegen ihn unternehmen!"
Trotz dieser vehementen Ansprache wusste Phanuel, dass er sich nicht überwinden würde, die geforderte Initiative zu ergreifen. Und fast ebenso klar war ihm, dass auch keiner der anderen Raphaels Ansinnen unterstützen würde, nach Michael/Salvat nun auch ihn dorthin zu entsenden, wo das Böse seine Armeen gesammelt und mobilisiert hatte.
Die Erde war für die einstigen Wächter schon jetzt ein verlorener Planet. Eine Welt, von der Gottes Schöpfungen spurlos verschwinden und durch Schimären der Hölle ersetzt würden.
Der Herr erbarme sich unser,
dachte Phanuel. Sein Mund aus Onyx aber blieb stumm...
1. Kapitel
Nacht über Jerusalem
Die Stadt erstickte im Rauch der Zerstörung, sie ertrank im Blut der Sterbenden, und sie brüllte
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