BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
neulich erst das letzte Walross zu Tode gelangweilt hat...«
Maggie Conolly schüttelte den Kopf, so heftig, dass ihr fast die Sonnenbrille von der Stupsnase rutschte. Wozu sie die überhaupt trug, war Sardon ein Rätsel. Die junge Pilotin ließ die kleine Cessna nämlich so dicht unter der grauen Wolkendecke entlang schrammen, dass das Cockpit ständig wie in wattigen Nebel getaucht war. Wie Maggie Conolly auf diese Weise den Kurs halten konnte, war ein weiteres Rätsel, das der Vampir nicht zu knacken vermochte. Denn die meisten Instrumente im Armaturenbrett schienen nicht zu funktionieren oder Phantasiewerte anzuzeigen.
Die pagenköpfige Pilotin hatte noch vor dem Start in Kotzebue mit dem Quasseln begonnen, und ihr Repertoire schien noch lange nicht erschöpft. Und wenn sie sich doch wiederholte, so verwandte sie neue Worte für bereits Gesagtes.
Auf diese Weise hatte Sardon einiges über Alaska und die Menschen hier gelernt. Zum Beispiel, dass alle anderen US-Bundesstaaten unter den Sammelbegriff »der Süden« fielen, und dass der Rest der Amerikaner »die Leute aus dem Süden« waren. Ferner wusste Sardon jetzt, dass zumindest Maggie ihre Kenntnisse über alles, was außerhalb Alaskas vorging, aus schlechten Fernsehserien oder Romanheften bezog. Ihre Vorstellung von FBI-Beamten war ein Paradebeispiel dafür.
Er hätte zeitweise nicht übel Lust gehabt, ihr das süße Plappermaul zu stopfen. Doch wenigstens lenkte sie ihn von seinen düsteren Gedanken ein wenig ab. Überhaupt wunderte er sich darüber, weshalb Maggie Conolly in seiner Gegenwart so gesprächig war. Sardon war es gewohnt, dass Menschen sich von seiner bloßen Anwesenheit eingeschüchtert fühlten, als erstickte etwas, das ihn unsichtbar umgab, alle Lust auf Konversation, um statt dessen latente Angst zu wecken.
Vielleicht lag es in Maggies Fall ja daran, dass hier am Rande der Welt jeder Tag ein Kuriosum war und sie sich durch nichts erschrecken oder auch nur aus der Fassung bringen ließ.
Aber es gab noch etwas, das Sardon beschäftigte. Nämlich jenes eigenartige Gefühl einer fremden und zugleich wohlbekannten Präsenz, das sich seiner schon in Washington bemächtigt hatte und das er nach wie vor verspürte, wenn auch nicht mehr in der Stärke des ersten Moments.
Doch es war noch da, so wie der Geschmack von schlechtem Blut, den man über Tage hinweg einfach nicht los wurde, ganz egal, was man auch dagegen zu tun versuchte.
Erst als er dieses Gefühl verspürt hatte, war Sardon bewusst geworden, wie lange er nicht mehr an
sie
gedacht hatte. Aus dem einfachen Grund, weil er
sie
für tot gehalten hatte, endlich tot – oder wenigstens verschollen im eingestürzten Korridor durch die Zeit.
Aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz war es Sardon in Washington zumindest
möglich
erschienen, dass er sich nicht getäuscht und
sie
ihn aus einer sicheren Deckung heraus beobachtet hatte. Hier jedoch, in diesem kleinen Flugzeug, in dem es fast schon für zwei Personen zu eng war, konnte er diese Möglichkeit ausschließen. Und die zwangsläufige Folgerung daraus war, dass sein vampirischer Instinkt ihn narrte. Was ihn nach all den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit nicht einmal wirklich beunruhigte. Im Gegenteil war er eher schon zufrieden damit, dass sich die Belastung nur in einer Überreizung seiner Sinne ausdrückte.
Das Grau um Sardon herum veränderte sich ein wenig, wurde heller und trat schließlich so weit zurück, dass es nicht mehr die Welt vor seinen Blicken verbarg. Wenn auch das, was er jetzt sehen konnte, nicht wirklich sehenswert war.
An die Stelle von Grau trat Weiß, in unterschiedlichen Schattierungen und weiter entfernt, als es die Wolken gewesen waren. Die verschneite Tundra tief unter der Cessna, die Flüsse und Berge waren ebenso grandios wie abweisend und unwirtlich. Die Küstenlinie weiter im Westen war ein gezacktes Band aus verkanteten Eisschollen; abstrakte Formen, die in einem Licht strahlten, das gleißend hell und von beinahe überirdischer Kraft war.
Das kleine Flugzeug zog eine Schneise in die Wand aus wirbelnden Schneeflocken, die sich hinter dem Heckruder sofort wieder schloss. Aus zusammengekniffenen Augen erkannte Sardon weit unter ihnen eine Ansammlung flacher Schatten, deren Konturen mit jedem Meter, den sie näher herankamen, an Kontur gewannen und schließlich zu Gebäuden wurden.
»Das ist die Station«, erklärte Maggie Conolly und beendete damit ihren unaufhörlichen Redefluss.
»Wo wollen Sie
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