BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
ihrem diffusen, flackernden Schein zeichneten sich zwei Schatten an den Wänden ab.
Obwohl es
drei
Gestalten waren, die um die Feuerstelle herum saßen.
Ein kleiner Junge, ein großer nackter Mann und ein weiterer, der so gebeugt dahockte, als lasteten die vielen Jahre, die sein Leben schon währte, wie ein tatsächliches Gewicht auf ihm. Das Faltengewirr seines Gesichts sah aus wie mit einem Messer in die ledrige Haut geschnitzt, und der Widerschein des Feuers vertiefte die Falten zu kleinen Gräben und machte aus den Frostnarben schroffe Grate.
Benji Hosteen hatte das fremde Wesen nicht, wie er es zuerst vorgehabt hatte, öffentlich durch das Dorf geführt. Auf dem Weg hierher hatte Tattu stumme Zwiesprache mit ihm gehalten, hatte vieles über den Ort, zu dem sie unterwegs waren, wissen wollen, und so war die »Rede« auch auf Maniilaq gekommen, den Ältesten des Dorfes, den
Angatkuq
.
Er war es, den Tattu hatte kennenlernen wollen.
Und so hatte Benji den Nackten im Schutz des Waldes um den Ort herumgeführt bis zur Hütte des Schamanen, die fast am Rande des Dorfes lag. Das dämmrige Licht hatte sie zusätzlich vor Entdeckung geschützt, und nun saßen sie hier in der Hütte des Alten.
Maniilaq hatte die Begegnung mit dem zweigeschlechtlichen Weltenschöpfer fast teilnahmslos hingenommen. Benji war darüber ein klein wenig enttäuscht gewesen, doch er tröstete sich damit, dass die Überraschung in den Zügen des Alten wohl von dessen Falten verschluckt worden war.
Seit sie am Feuer Platz genommen hatten, war kein Wort mehr gefallen. Das Knistern des brennenden Holzes war seit Minuten das einzige Geräusch in der Hütte. Nun brach Maniilaq das Schweigen.
Er wandte den Blick der schmalen Augen von den Flammen und der Glut ab und sah zu dem Wesen hin, das der Junge zu ihm geführt hatte.
»Wenn du der Weltenschöpfer bist, aus welchem Grund bist du dann zurückgekehrt, nachdem dein Werk lange schon vollbracht ist?«, fragte der Schamane mit rauchiger Stimme.
Der Vampir sah weiter in die Flammen hinein, und das Glosen der Glut spiegelte sich in seinen Augen wider.
»Weil es die Welt neu zu schaffen gilt«, antwortete er nach einer Weile. »Weil ein neues Volk sich aufmachen wird, sie sich untertan zu machen.«
»Ein neues Volk?«, fragte Manniilaq.
Der Vampir nickte. »Mein Volk.«
Tattu... Der Name gefiel ihm. Und er hatte von dem kleinen Jungen viel erfahren über dieses Wesen. Er hatte Parallelen entdeckt zwischen sich und dem mythischen Weltenschöpfer. Und es gefiel ihm, dass der Junge und auch der Alte ihn tatsächlich für den zurückgekehrten Tattu hielten.
Dies war eine Sache, die er sich zunutze machen konnte – obwohl er bis vor kurzem noch nicht einmal gewusst hatte, was es hieß, sich »etwas zunutze zu machen«... Doch das Wissen darüber war in ihm gewesen, als er es gebraucht hatte. Wie alles in ihm war, stets in dem Moment, da er es brauchte...
»Dein Volk?«, fragte Maniilaq. »Du hast... Nachkommen?«
»Nicht wirklich Nachkommen. Sie sind wie ich. Brüder.«
»Dann müssen es Götter sein«, flüsterte der Schamane.
»Götter...«, echote »Tattu«, und ein Lächeln machte seine Visage noch hässlicher. »Ja, wir sind Götter. Geboren, um zu herrschen.«
»Was wird mit all den anderen Völkern, die auf der Welt leben?«
Benji hatte die Frage gestellt, und in seiner Stimme schwang ein ängstlicher Tonfall mit, der ihn beinahe selbst erstaunte. Er hatte all die Zeit über keine Furcht verspürt, obwohl allein der Anblick dieser... Kreatur fürchterlich genug war, um mehr als nur Angst heraufzubeschwören. Doch was immer die Angst in Benji bislang bezähmt und unterdrückt hatte, es verlor mit einem Mal an Macht –
– solange, bis das Wesen ihn ansah.
Etwas geschah.
Ein Lächeln spielte wieder um Benjis Lippen, und er sah den anderen strahlend an.
Tattu...
»Sie werden sterben«, antwortete der Vampir.
»Natürlich«, erwiderte Benji. Was sollten jene Völker auch anderes tun als sterben, wenn Tattu und seine Brüder die Welt für sich beanspruchten?
»Wo sind deine Brüder?«, fragte Maniilaq.
»In mir.«
Der
Angatkuq
sah den Nackten nur an, stummes Nichtverstehen im Blick.
»Ich zeige es dir«, sagte der Vampir.
Er erhob sich und trat etwas vor, so dass sowohl Maniilaq als auch der Junge ihn genau beobachten konnten. Dann ging er in die Hocke nieder, verschränkte die Arme über den Knien und barg den Kopf darin.
Lange Zeit geschah nichts.
Minuten vergingen,
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